Die Kanonen von Navarone
hilflosem Entsetzen, Nase und Mund vom Wasser verstopft, während sich tief in seinem Leib der quälende Knoten zusammenzog, der vom Schrecken erregte namenlose Schmerz, der ihn später so oft überfallen sollte. Und der Vater und seine zwei älteren Brüder, starke Burschen, die genau wie Sir Cedric keine Nerven kannten, hatten sich die Lachtränen aus den Augen gewischt und ihn noch einmal ins Wasser gestoßen …
Der Vater und die Brüder … So wie damals war es seine ganze Schulzeit gegangen. Gründlich gequält hatten ihn die drei! Diese zähen, derben Naturmenschen, die nur Achtung vor Athletentum und Körperkraft hatten, begriffen nicht, daß er nicht ganz wild darauf erpicht war, einen Kopfsprung vom Fünfmeterbrett zu machen, auf einem Jagdpferd über hohe Holztore zu setzen, schroffe Felsen zu erklettern oder im Sturm zu segeln. Und zu all dem hatten sie ihn gezwungen, und oft hatte er dabei versagt. Nie hatten sein Vater und seine Brüder verstehen können, wie es kam, daß er die harten Sportarten, in denen sie glänzten, fürchtete. Sie waren weder grausam noch unfreundlich, sondern nur stupide. So war schließlich zu der einfachen und ganz natürlichen Furcht, die er bei körperlichen Wagnissen manchmal empfand, noch die Furcht vor dem Versagen gekommen, eine Furcht, die sich bei jedem neuen Versuch einstellte: Furcht vor dem unausbleiblichen Spott und der Lächerlichkeit. Und weil er die, als sensibles Kind, am meisten fürchtete, lernte er alles fürchten, was ihn lächerlich machen konnte. Und später kam es so weit, daß er schon diese Furcht fürchtete, bis er sich – in den letzten Jahren zu Hause, bevor er zwanzig wurde – die Aufgabe stellte, auf gefährlichen Bergtouren diese doppelte Furcht zu besiegen. Da war er eines Tages in diesem Sport so tüchtig geworden, daß er in den Kreisen der Bergsteiger einen guten Namen bekam, so daß Vater und Brüder ihn allmählich respektierten und als ihresgleichen anerkannten. Mit dem Auslachen war es vorbei gewesen, aber nicht aufgehört hatte die Furcht. Die war sogar stärker geworden, denn sie fand, wenn er sie besiegen wollte, aus der Angst vor dem Mißlingen neue Nahrung, und oft war er bei besonders gefährlichen Bergpartien um ein Haar zu Tode gestürzt, wie ohnmächtig in jähem Entsetzen, wenn gar kein Anlaß dazu bestand. Aber immer hatte er – und bisher mit Erfolg – dieses furchtbare Angstgefühl wenigstens zu verbergen gesucht. Wie er sich auch jetzt mühte, es zu überwinden und sich nicht zu verraten. Er hatte Furcht, zu versagen – in was, wußte er nicht einmal recht –, jedenfalls die in ihn gesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen. Er fürchtete sich, von der Furcht gepackt zu werden, und hatte verzweifelte Angst davor, daß andere sehen oder erfahren könnten, wie sehr er sich fürchtete …
Das verblüffende, unwahrscheinliche Blau der Ägäis, die in weichen Dunst gehüllte Silhouette der Anatolischen Berge vor dem matteren Blau des Himmels, das zauberhafte Sichvermählen der Farben, der feinen Tönungen Blau, Lila, Rosa und Rot, über den in Sonne getauchten Inseln, die, jetzt fast genau querab von ihnen, gemächlich am Boot vorbeizogen; das schillernd sich riffelnde Wasser, gestreichelt von der milden, duftgeladenen Brise, die eben in Südost aufgekommen war; das friedliche Bild an Deck, das beruhigende, unaufhörliche Stampfen des alten Kelvinmotors … Alles das sprach von Frieden und Stille, von Zufriedenheit, Wärme und lässigem Nichtstun, und es schien ganz unmöglich, daß hier ein Mensch Angst haben konnte. Die Welt und der Krieg waren sehr weit fort an diesem Nachmittag.
Oder vielleicht war der Krieg doch nicht so fern? Es gab vereinzelte Nadelstiche, die ständig an ihn erinnerten. Zweimal hatte ein deutsches Wasserflugzeug, ein Arado, neugierig über ihnen Kreise gezogen, zwei andere Maschinen, eine Savoia und eine Fiat, die zusammen erschienen, hatten den Kurs geändert, waren tiefer gegangen, um ihr Schiff zu betrachten, ehe sie, offenbar befriedigt, weiterflogen. Diese italienischen, vermutlich auf Rhodos stationierten Maschinen, wurden höchstwahrscheinlich von deutschen Piloten geflogen, die nach der Kapitulation der italienischen Regierung ihre bisherigen Verbündeten auf Rhodos eingekreist und in Gefangenenlager gesteckt hatten. Morgens schon hatten sie in achthundert Meter Abstand eine große deutsche Kajike mit Kriegsflagge passiert, die von eingebauten Maschinengewehren förmlich strotzte
Weitere Kostenlose Bücher