Die Kanonen von Navarone
und im Bug ein Zweizentimetergeschütz trug. Und bald nach Mittag war ein deutsches Schnellboot in so harter Fahrt an ihnen vorbeigedonnert, daß ihre Kajike in seinem Kielwasser ganz bedenklich ins Schaukeln kam. Mallory und Andrea hatten die Fäuste geballt und die grinsenden Matrosen drüben mit einem Hagel von Flüchen überschüttet. Aber bisher hatte noch niemand versucht, sie zu belästigen oder festzuhalten. Weder Briten noch Deutsche hätten die geringsten Skrupel gehabt, die Neutralität der türkischen Hoheitsgewässer zu verletzen, doch in diesem Gebiet galt eine seltsamerweise von selbst entstandene, ungeschriebene Vereinbarung, einander nicht unnötig zu behelligen, so daß feindselige Akte zwischen den sich begegnenden Schiffen und Flugzeugen fast unbekannt waren. Wie bei den Gesandten feindlicher Länder in einer neutralen Hauptstadt, variierte hier das Benehmen der Gegner zwischen tadelloser, wenn auch kühler Beachtung der üblichen Formalitäten und einer deutlich betonten Nichtbeachtung der Existenz des andern.
Das also waren die Nadelstiche, diese flüchtigen Inspektionen – mochten sie auch harmlos sein – durch Schiffe und Flugzeuge des Feindes. Die übrigen Mahnungen, daß für sie keineswegs Frieden war, sondern sie in Illusionen lebten, deren dünner Schleier leicht und schnell reißen konnte, waren nicht so flüchtiger Natur. Langsam kreisten die Minutenzeiger ihrer Uhren, und jedes Ticken brachte sie der kaum noch acht Stunden entfernten mächtigen Felswand näher, die sie, so oder so, erklettern sollten. Und weniger als fünfzig Meilen vor dem Bug ihres Bootes konnten sie schon über dem flimmernden Horizont die grimmigen, zerrissenen Bergkuppen von Navarone erkennen, die dunkel in den saphirblauen Himmel wiesen, einsam, noch fern und doch schon sonderbar bedrohlich.
Um halb drei nachmittag setzte der Motor aus, ohne vorher durch Husten oder Stottern sein Versagen angekündigt zu haben. Noch eben das gleichmäßige Stampfen der Kolben, im nächsten Moment schon, ganz überraschend, eine in ihrer Vollkommenheit bedrückende und unheilverkündende Stille.
Mallory war als erster am Luk zum Maschinenraum. »Was ist los, Brown?« Seine Stimme klang hart vor Nervosität. »Versagt der Motor?«
»Nicht ganz, Sir.« Die Worte drangen, da Brown noch über den Motor gebückt stand, nur gedämpft nach oben. »Ich habe ihn eben bloß abgestellt.« Er richtete sich auf, zog sich ermattet durch das Luk hoch und setzte sich an Deck, die Füße in der Öffnung. In tiefen Zügen zog er frische Luft ein, sein Gesicht war unter der tiefgebräunten Haut blutleer.
Mallory musterte ihn aufmerksam. »Sie sehen ja aus wie zu Tode erschrocken.«
»Das nicht.« Brown schüttelte den Kopf. »In den letzten zwei, drei Stunden habe ich mich in dem elenden Loch da unten langsam vergiftet, das merke ich erst jetzt richtig.« Er strich sich stöhnend mit der Hand über die Stirn. »Kohlenoxyd ist nicht gerade bekömmlich.«
»Vergaser undicht?«
»Ja, von undicht kann man da schon nicht mehr reden.« Er wies auf den Motor. »Sehen Sie das senkrechte Rohr über der Maschine, auf dem die dicke Eisenkugel liegt? Der Wasserkühler. Das Rohr ist dünn wie Papier, es muß am unteren Flansch schon seit Stunden undicht sein. Und vor einer Minute platzte ein großes Stück glatt ab, Funken, Rauch und fünfzehn Zentimeter lange Flammen schossen 'raus. Deshalb mußte ich das verdammte Ding sofort abstellen, Sir.«
Mallory nickte, langsam verstehend. »Und was nun? Können Sie das reparieren, Brown?«
»Ausgeschlossen, Sir.« Sein Kopfschütteln betonte die Unmöglichkeit. »Müßte hartgelötet oder geschweißt werden. Aber zwischen dem Schrott da unten ist noch ein Ersatzstück. Verrostet wer weiß wie und beinah ebenso klapprig wie das andere … damit will ich's probieren, Sir.«
»Und ich werde ihm helfen«, bot Miller sich an.
»Danke schön!« – »Und wie lange wird's dauern, Brown?«
»Das weiß der Himmel, Sir. Zwei Stunden, können aber auch vier werden. Die meisten Schrauben und Muttern sind vollkommen eingerostet, die müssen wir abscheren oder absägen, und dann andere aufstöbern.«
Mallory sagte nichts mehr. Er wandte sich schwerfällig ab und ging zu Stevens, der aus dem Ruderhaus getreten war und über den Segelkasten gebeugt stand. Er blickte fragend zu Mallory auf.
Mallory nickte. »Nehmen Sie die nur gleich 'raus, und dann hoch damit. Vier Stunden vielleicht, hat Brown gesagt. Andrea und
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