Die Kanonen von Navarone
»Mir gefällt das nicht, Boß«, murmelte er bedrückt. »Kein bißchen gefällt mir diese Inszenierung. Sie hätten mich mit Andrea gehen lassen sollen. So sind sie da oben drei gegen einen, und die drei sind vorbereitet.« Er blickte Mallory vorwurfsvoll an. »Verdammt und zugenäht, Boß, Sie erzählen uns doch dauernd, wie furchtbar wichtig dies Unternehmen ist!«
»Ich weiß«, sagte Mallory gelassen, »gerade deshalb habe ich Sie ja nicht mitgeschickt, habe Andrea extra allein gehen lassen, denn wir wären für ihn nur eine Belastung und kämen ihm unnötig in die Quere.« Er schüttelte den Kopf. »Sie kennen Andrea nicht, Dusty.« Es war das erstemal, daß er ihn mit seinem Spitznamen anredete, und diese unerwartete Vertraulichkeit ging Miller zu Herzen. »Keiner von euch kennt ihn, aber ich.« Er machte eine Bewegung nach dem Wachtturm, dessen Umrisse jetzt scharf vor dem schon halbdunklen Himmel standen. »Ihr kennt ihn nur als großen, dicken, immer lachenden Witzemacher.« Mallory schüttelte wieder den Kopf, ehe er langsam weitersprach. »Jetzt ist er da oben und tappt still wie eine Katze durch den Wald, die größte und gefährlichste Katze, die ihr euch vorstellen könnt. Er tötet keinen Menschen unnötig. Wenn die drei armen Kerle da oben keinen Widerstand leisten, ist's gut. Tun sie das aber, dann erledigt er sie in meinem Auftrag genauso sicher als wenn sie auf dem elektrischen Stuhl säßen und ich von hier aus den Strom einschaltete.«
Miller war gegen seinen Willen tief beeindruckt. »Kennen ihn wohl schon lange, Boß?«
»Ja. Andrea hat den Krieg in Albanien mitgemacht – als aktiver Soldat. Ich habe erfahren, daß die Italiener ihn sehr fürchteten. Seine weiten Patrouillenvorstöße gegen die Division Julia, die Wölfe von Toskanien, haben zur Zerstörung der italienischen Kampfmoral in Albanien mehr beigetragen als alles andere. Ich habe viele Berichte darüber gehört – nicht von Andrea selbst –, die alle ans Unwahrscheinliche grenzen und doch alle wahr sind. Aber kennengelernt habe ich ihn erst später, als wir versuchten, den Paß von Servia zu halten. Ich war damals, trotz meiner kurzen Leutnantszeit, Verbindungsoffizier zur australischen Brigade. Und Andrea« – er machte absichtlich eine Pause, damit es mehr wirkte – »Andrea war Oberstleutnant bei der 19. Motorisierten Division der Griechen.«
»Was war er?« fragte Miller verblüfft. Auch Stevens und Brown machten ganz ungläubige Gesichter.
»Was ich sagte: Oberstleutnant. Ganz schönes Stück höher im Rang als ich, kann man einwenden.« Er lächelte sie verschmitzt an. »Jetzt erscheint er euch in anderem Licht, wie?«
Sie nickten schweigend. Der freundliche, zu jedermann kameradschaftliche Andrea, ein gutmütiger, fast simpler Possenreißer – Stabsoffizier bei der Armee! Diese Eröffnung war zu unvermittelt gekommen und der Gedanke hatte zu fern gelegen, um die Tatsache voll und ganz zu begreifen. Allmählich jedoch reimten sie sich mancherlei zusammen und konnten sich vieles in Andreas Benehmen erklären: seine Gelassenheit, seine Zuversicht, seine unfehlbar sicheren, blitzschnellen Entschlüsse, und vor allem: das unbegrenzte Vertrauen, das Mallory zu ihm hatte, und den Respekt vor Andreas Urteil, wenn er ihn, was häufig geschah, um Rat fragte. Und Miller erinnerte sich jetzt, ohne erstaunt zu sein, daß Mallory nie Andrea einen direkten Befehl gegeben hatte. Dabei bestand er doch sonst immer entschieden auf seinem Rang, wenn es geboten war.
»Nach den Kämpfen am Servia«, fuhr Mallory fort, »war die Lage sehr verworren. Andrea hatte erfahren, daß Trikalla – eine kleine Landstadt, wo seine Frau und seine drei Töchter wohnten – durch Stukas und Heinkelbomber dem Erdboden gleichgemacht war. Es gelang ihm hinzukommen, doch er konnte nichts mehr tun. Eine Luftmine war genau in ihren Vorgarten gefallen und kein Stein auf dem andern geblieben.«
Mallory zündete sich eine Zigarette an und blickte durch den wehenden Rauch zum Wachtturm, dessen Konturen schon undeutlicher wurden.
»Der einzige Bekannte, den er dort vorfand, war sein Schwager George. Der ist dann mit uns auf Kreta gewesen – ist jetzt noch da. Von George erfuhr er zuerst Näheres über die bulgarischen Greueltaten in Thrazien und Mazedonien – und dort wohnten seine Eltern. Die beiden zogen sich deutsche Uniformen an – wie Andrea ihnen die verschaffte, könnt ihr euch vorstellen –, beschlagnahmten einen deutschen LKW und
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