Die Kanzlerin - Roman
Wir können die Liechtensteiner Botschaft verwanzen oderSchweizer Banken, und dann liefern wir dem Finanzminister ein paar Steuerbetrüger und ein paar Milliarden.«
»Er hat sich sehr darüber gefreut«, sagte die Kanzlerin.
»Aber was wir nicht können«, sagte Auerbach, »ein Volk bespitzeln, das sich in Wohnwagenkolonien oder Schrebergärten, in Universitäten oder auf Fussballplätze zurückgezogen hat. Das Volk will nicht mehr, und das ist nicht strafbar.«
»Verdammt noch mal, wenn ich das mal so wenig nobel sagen darf: Ich habe eine ganz konkrete Frage gestellt.« Da niemand etwas sagte, ging die Kanzlerin in die Offensive: »Herr Auerbach, gibt es konkrete Hinweise auf drohende anarchistische Anschläge? Und wenn Sie einen Krümel im Mundwinkel haben, dann brauchen Sie nicht zu züngeln, Herr Auerbach, dann kann ich Ihnen auch eine Serviette anbieten.«
Dexter Flimm wartete, bis er zu einem weiteren Schlag ausholte, diesmal mit der rechten Hand. »Wir verfolgen Spiele, Frau Kanzlerin. Ein paar Spiele kennen wir, aber wir kennen die Spieler nicht. Was jedoch allen gemeinsam ist: Sie haben nichts zu verlieren. Also spielen sie mit dem Leben. Mit dem eigenen und dem anderer Menschen. Leute, die hemmungslos leben wollen. Die den Kick suchen. Einen immer stärkeren Kick. Und es hat Tote gegeben, in Ihrer nächsten Umgebung. Freud hat gesagt: ›Es gibt keine Zufälle.‹ Und das sage ich auch.«
»Na ja«, erwiderte die Kanzlerin, »wenn mein politischer Hohlkörper zumindest dazu noch verwendet werden könnte, den Menschen eine kleine Freude zu machen …« Sie verstummte minutenlang. »Haben Sie Mozart identifiziert, Herr Brack?«
»In zwei, drei Wochen haben wir ihn«, sagte der Chef des Bundeskriminalamtes.
»Und das ist alles?«, fragte die Kanzlerin und wunderte sich.
Auerbach blieb sitzen, Brack blieb sitzen, und auch Flimm stand nicht auf. Sie warteten. Der giftigste Pfeil bleibt bis zuletztim Köcher, dachte die Kanzlerin und schwieg auch. So wie an Beerdigungen geschwiegen wird. Auerbach züngelte. Es wurde gespenstisch.
»Karten auf den Tisch!«, brüllte die Kanzlerin plötzlich, und Brack stand auf.
»Frau Kanzlerin, das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz müssen Sie leider darüber informieren, dass eine Terrorgruppe einen Anschlag auf Sie plant. Es handelt sich um eine Gruppe namens Cookie & Co, von der wir bis dato etwa ein Dutzend Mitglieder im Netz beobachten. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Das BKA hat die Sache im Griff. Wir kennen Ort und Zeitpunkt des geplanten Verbrechens und sind auch detailliert informiert über den vorgesehenen Ablauf. Der Innenminister wurde heute von mir unterrichtet.«
»Wann?«, fragte die Kanzlerin. »Wo? Wie? Und das Motiv?« Ihre Stimme wurde bei jeder Frage lauter. »Muss ich Ihnen, und das, obwohl mein Innenminister offenbar schon bestens Bescheid weiss über alles, die Fakten aus der Nase ziehen?«
Brack setzte sich beleidigt, Flimm schaute zu Auerbach und ergriff das Wort, weil dieser kurz genickt hatte. »Das Attentat soll am Tag der Bundestagswahl stattfinden. Also in einem Jahr. Also haben wir Zeit. Im ARD-Hauptstadtstudio. Geplant ist ein Anschlag auf die Elefantenrunde, also auf die Vorsitzenden aller Parteien, nach der Tagesschau. Wir observieren mehrere ARD-Mitarbeiter, vorwiegend Techniker, die nach unseren Erkenntnissen beteiligt sind. Die Gruppe plant ein Sprengstoffattentat. Anarchistische Motive. Keine Verbindungen feststellbar zu al-Kaida oder anderen islamistischen Terrorgruppen.«
»Na prima«, sagte die Kanzlerin, »was Sie nicht alles wissen. Und warum werden die Leute nicht verhaftet?«
Auerbach zeigte zweimal seine Zunge und sagte dann: »Die Operation läuft. Und weil es sich bei Cookie & Co um eineinternationale Bande handelt, sind auch die französischen, amerikanischen und russischen Dienste daran beteiligt. Die Federführung liegt beim Bundesnachrichtendienst. Mutmasslicher Zugriff: etwa in drei Wochen. So lange brauchen wir noch, um das vorliegende Beweismaterial gerichtsfest zu machen.«
»Der Innenminister hat dazu geraten, die Sache vorerst absolut vertraulich zu behandeln, also auch das Kontrollgremium des Bundestages und das Kabinett vorerst nicht zu informieren.« Auch Flimm hatte sich erhoben.
»Und die Säntisreise?«
»Da brauchen Sie sich«, sagte Auerbach, »keinerlei Sorgen zu machen. Wie Jens Brack schon sagte: Wir haben die Sache im Griff. Die Gruppe kommuniziert so unverschämt
Weitere Kostenlose Bücher