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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Schwarzer und staunte über die Anzahl Kochtöpfe, die Kristallgläser, das schwere silbrige Besteck. Kühlschrank: tadellos. Gaskochherd. Auf einem Beistelltisch eine Lafayette-Einkaufstüte. Schwarzer hatte es sich angewöhnt, nie direkt auf einen Tatort zuzugehen, sondern sich vorher einzustimmen. Das stand zwar in keinem Lehrbuch, aber es half bei der Konzentration. Weil es Tote gibt, die den Kopf auf eine so dominante Weise besetzen, dass ein zu früher Augenschein die Gedanken blockieren kann.
    Vierzigjähriger Mann, Bossdorf Clemens, Mitarbeiter des Bundespresseamtes und nun ein toter Beamter.
    Schwarzer wusste, dass sein Auftreten bei vielen Kollegen nicht gut ankam, weil er so selbständig arbeitete, dass er sich allenfalls formal einem Team anschloss, und einen Chef hatte, der das duldete.
    »Man verwischt keine Spuren, wenn man an einem Tatort schwere Vorhänge öffnet, um etwas zu sehen«, sagte er und brachte zumindest so viel Licht in diesen Fall, dass die Weissgewandeten ihn erkennen konnten. »Warum sind Spurensicherer eigentlich nicht grün angezogen?«, fragte Schwarzer. »Oder lila?Warum weiss?« Die Männer ignorierten ihn, die Gerichtsmedizinerin war noch nicht da, und also stellte sich Schwarzer breitbeinig vor das Bett. Es gibt Leichen, die eindeutig ungesünder aussehen als andere, und das war so eine. Bossdorf lag, an Händen und Füssen gefesselt, da, mit geöffneten Augen und aufgequollen wie eine Wasserleiche. Mit roten Pünktchen im Gesicht, die ihn irgendwie lächerlich machten. Schwarzer ging ins Badezimmer, holte ein Tuch und legte es dem Toten über das Gesicht. »Weil, meine weissgeschürzten Spurenjäger, ein Toter uns bei der Arbeit sowieso nicht zusehen kann und auch nicht dürfte.«
    Die Gerichtsmedizinerin war extrem jung, extrem gesprächig und entfernte als Erstes das Tuch vom Gesicht des Toten. »Wer hat denn das aufgelegt? Stirne kühlen? Tote schwitzen nicht und haben alle einen ruhigen Kopf.«
    »Erstickt«, sagte Schwarzer und zeigte auf die verklebte und ausgebeulte Folie.
    »Ach, dann hat sich unser Toter ja zu seinen Lebzeiten schon ausgiebig ausgeschwitzt.« Sie beugte sich über Bossdorf, drehte sich kurz zu Schwarzer um und sagte: »Schöni. Charité.«
    »Schwarzer. Kripo.«
    »Keine Würgemale, nicht erdrosselt, und trotzdem macht er jetzt dieses typisch aufgeblasene Gesicht. Zu lange Zeit zu wenig Sauerstoff. So einfach ist das. Zuerst die Lust, dann die Atemnot, dann die Todesangst.« Sie nahm ihr Diktiergerät. »Abreibungen an Handgelenken links und rechts, an Knöcheln links und rechts – er hat sich«, sagte sie zu Schwarzer, »blutig gerieben. Er hat gekämpft, hatte Panik, wollte sich befreien.«
    »Und wie lange«, fragte Schwarzer, »dauerte sein Todeskampf?«
    »Ein bis eineinhalb Minuten. Weil aber kein Sauerstoff da war, hat er hyperventiliert. Er war kurzfristig muskulär und psychisch erregt, vielleicht sogar euphorisiert. Der Bluckdruck hat sich erhöht. Und die Pulsfrequenz hat abgenommen. Vielleicht hat ergekrampft. Dann hat er den Durchblick verloren: Bewusstseinstrübung. Blutdruckabfall, Kollaps. Letztes Stadium: Herz schlägt noch einmal ganz schnell, sozusagen um die Wette, und für ein bis zwei Minuten setzt die Atmung ganz aus. Aber das war’s noch nicht.«
    »Sondern?«
    »Schnappatmung«, sagte die Gerichtsmedizinerin. »Aber das geht nicht. Menschen sind keine Fische. Obwohl wir sagen, dass wir nach Luft schnappen. Aber das ist falsch. Weil, wenn es so weit ist, ist es schon zu spät.«
    »War er bewusstlos?«
    »Spätestens nach zwanzig Sekunden«, sagte sie.
    Schwarzer öffnete die Fenster. »Er war gefesselt. Und jemand hat ihn ersticken lassen.«
    »Ach wissen Sie, Herr Schwarzer, bei solchen Spielchen gibt es immer wieder Pannen. Vielleicht hat der Fesselkünstler eine kleine Rauchpause gemacht oder musste mal kurz austreten, und das war’s. Weil dem kleinen Pimperchen der Schnauf vielleicht schon vorher ausging.« Während sie sprach, legte sie das Tuch auf das Glied des Toten. »Ein kleineres hätte auch genügt«, sagte sie und wandte sich an die Spurensicherer: »Pfleglicher Umgang mit der Folie, bitte.«
    Schwarzer fand den Auftritt der Ärztin voreingenommen. »Sie sind aber pfeilschnell. Und wenn es kein Unfall war?«
    »Dann, Herr Schwarzer, hätten Sie ein Problem. Weil Sie einen Verdacht begründen müssten quasi ohne Mithilfe der Gerichtsmedizin.«
    »Warum?«
    »Weil es bei uns Forensikern bei Erstickungstoten eine

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