Die Kanzlerin - Roman
wäre angemessen, meine ich.«
»Thilo, ich will nicht philosophieren, ich will jetzt eine Antwort von dir. Und zwar eine glasklare.«
»Xenia, du weisst, dass die Liberalen keine klare Wahlaussage machen können. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, können wir uns nicht als Anhängsel verkaufen, auch nicht für die Union, und selbst dann nicht, wenn diese Union sich wieder marktgerechter verhalten würde und du dich durchsetzen kannst, also Schluss machst mit dem sozialen Gesäusle.«
»Dann sag ich es jetzt halt doch: Mensch Thilo. Es ist mir persönlich vollkommen egal, mit wem ich regiere. Ich kann es mit den Sozialdemokraten machen, ich kann es mit dir und den Grünen machen – ich bleibe Kanzlerin. Aber du hast ein Problem, Thilo. Wenn du es wieder nicht in die Regierung schaffst, dann werden dich die Liberalen hängenlassen. Dann bekommst du den Orden ›Ehrenvorsitzender der Opposition‹ und bleibst das dann lebenslänglich.«
»Vielleicht schaffen wir es ja, und Union und Liberale haben eine Mehrheit.«
»Theoderich, wenn ich dich so betrachte, wie du in dein blutiges Steak beisst, dann würde ich mir doch wünschen, dass du mit ebendiesem Biss an die Sache gehst.«
»Ich habe die Liberalen zu einer verlässlichen Kraft gemacht, auf ständig steigendem Niveau, und das Potential ist noch nicht ausgeschöpft.«
Die Kanzlerin war genervt und liess es ihn spüren.
»Was konkret erwartest du von mir, Xenia?«
»Zuerst einmal, dass du die Serviette nimmst und dir den Pommeskrümel von der Wange wischst. Ansonsten kann ich nur sagen: Auf Schwarz-Gelb verlasse ich mich nicht. Und das heisst, vielleicht brauchen wir die Grünen für die Regierung. Und das heisst: Du musst endlich mit den Grünen klarkommen. Weil ich es sonst mit den Sozis mache, wie gehabt.«
»Wir Liberale lassen uns nicht verbiegen. Die Grünen müssen sich bewegen, vorher tut sich da nichts. Im Übrigen: Die Umfragewerte der Liberalen steigen – die der Konservativen nicht.«
Die Kanzlerin hatte ihr Schnitzel verspeist und prostete ihm zu: »Thilo, wir kennen uns jetzt schon viele Jahre, und ich habe grossen Respekt vor dir. Aber du treibst die Liberalen in den Untergang, wenn du deinen Hintern jetzt nicht hebst und vorsorglich auf die Grünen zugehst. Weil, wie gesagt, der Kater schnurrt, und der Herr Baptist de la Mare hat heute den Sozialdemokraten eine Koalition angeboten. Und Wowi will Kanzler werden.«
»Xenia, ich bin nicht dumm. Dass Wowi die nächsten Wahlen abgehakt hat, dich aber zu gegebener Zeit wegputschen könnte mit Hilfe der Linken und Grünen – davor hast du Angst.«
»Die Weichen werden jetzt gestellt, Thilo. Ich muss die Grünen ins Boot holen, und zwar schnell. Und du musst deinen Liberalen sagen, dass sie mitmachen müssen. Es ist dein Rettungsring, falls es für unser Tête-à-Tête nicht reicht.«
Thilo Pfeiffer hatte Lust auf eine Zigarre. Sie durchschaute ihn, und das wurmte ihn.
»Letztlich werden die Wähler über all diese Fragen entscheiden«, sagte er.
»Blödsinn, Thilo. Das ist jetzt wirklich Blödsinn. Die Wähler entscheiden, was wir entschieden haben. Wenn wir entschieden haben. Aber du willst dich ja nicht entscheiden.«
»Darum geht es nicht.«
»Sondern um was? Sag es mir, Theoderich, du Mensch. Du verkörperter Volkeswille. Worum geht es dir?«
»Als ich in die Politik ging, da hatte ich eine Überzeugung. Da habe ich an etwas geglaubt. Das ist zwar schon lange her, Xenia, aber ich habe immer noch eine Überzeugung. Und ich glaube immer noch, dass es nicht nur um Macht geht in der Politik.«
»Dann sag ich dir jetzt auch etwas, Thilo. Als ich in die Politik ging, da hatte ich keine Überzeugung, jedenfalls keine politische. Und ich bin damit – bis heute – ganz gut gefahren. Mit Überzeugungen hätte ich es auch in der Physik nicht weit gebracht. In der Politik geht es darum, das Machbare zu tun. Und dafür braucht es eine Vorstellung. Und die habe ich«, sagte die Kanzlerin und winkte den Kellner herbei. »Abrechnung wie immer«, sagte sie, und der Kellner bedankte sich für das Trinkgeld.
»Thilo, ich will jetzt wissen, ob du mitmachst. Weil es machbar ist mit dir. Und weil es sonst schon bald der zufriedene Kater machen wird. Und Vizekanzler de la Mare wird ihm den Marsch blasen.«
Pfeiffer schwieg und wirkte plötzlich sehr traurig.
»Himmelherrgott, Thilo, muss ich sachlich werden? Wo sind denn die Differenzen, die angeblich so unüberbrückbaren? Zwischen Grünen
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