Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
ganz Großen, er hatte überall seine Finger drin. Staatsaufträge, Bauvorhaben, Firmenbeteiligungen. Die Kollegen von der Zentralstelle für Wirtschaftsstrafsachen haben ihn seit Jahren im Visier.“
„Das hat Stolli mir auch immer erzählt. Nur nachweisen konnte man ihm nie etwas.“
Pieper lächelte schief. „Natürlich nicht. Die Mächtigen halten zusammen. Baumgarts Netzwerk in der Politik reicht bis nach Brüssel. Wenn seine Schweinereien auffliegen, gibt es einen gewaltigen Knall in diesem Land und darüber hinaus. Da dürfte nicht wenigen Politikern in Europa der Arsch auf Grundeis gehen.“
„Du redest wie Stolli, der hat auch immer maßlos übertrieben“, stellte Verena fest.
Pieper suchte in seiner Schreibtischschublade nach Keksen. „Verdammt, ich hatte doch letzte Woche noch welche. Ja, vielleicht übertreibe ich. Aber immer nur wegschauen und heile Welt spielen, ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Wir wissen doch, wie der Hase läuft. Deutschland wird von der Mafia unterwandert. Du warst doch dabei, als der Dozent von der Polizeiakademie uns auf den aktuellen Stand gebracht hat. Mehr als fünfhundert Milliarden Euro haben Mafiaorganisationen in den letzten Jahren nach Deutschland gepumpt, in Unternehmensbeteiligungen, Immobilien und Spielhallen. Fünfhundert Milliarden schmutziges Geld. Und was tut die Politik? Sie schaut weg. Nichts sehen, nichts hören und auf Durchzug stellen, wenn es Kritik gibt. Dass am Ende die Rechte der Arbeitnehmer und des Mittelstandes unter den Tisch fallen, geht denen komplett am Arsch vorbei. Die Damen und Herren Politiker sind ja auch nicht betroffen. Von ihren Gehältern und Ruhestandsbezügen kann unsereins nur träumen. Und natürlich ist es einfacher, Kleinkriminelle zu jagen als Weiße-Kragen-Täter. Um auf Baumgart zurückzukommen: Er hatte auch gute Seiten, er hat sich sozial engagiert. Wo Licht ist, ist auch Schatten, und umgekehrt. Vielleicht wollte er ja aus seinen schmutzigen Geschäften aussteigen, und das hat irgendjemandem nicht gepasst. Oder einer der ganz großen Spitzenpolitiker hatte Angst, dass er redet.“
Verena schloss für einen Moment die Augen. Seit Tagen schlief sie schlecht. Sie sehnte sich nach ihrer Couch, vor sich ein spannendes Buch und ein Glas Wein und an nichts denken müssen. „Das sind alles nur Spekulationen. Wir haben nichts in der Hand. Mal abgesehen davon, dass er einen Termin bei einem russischen Oligarchen hatte, mit dem er seit Jahren Geschäfte machte. Welche, wissen wir nicht. In seiner Firma weiß angeblich niemand Bescheid. Und Milner schweigt wie ein Grab.“
„Ich kann dir schon sagen, um welche Geschäfte es ging. Er hat Geld für den Kerl gewaschen. Oder glaubst du etwa, dass der Russe seine schmutzige Kohle ordnungsgemäß versteuert?“ Als er Verenas skeptische Miene sah, seufzte er. „Ich weiß, ich weiß: Beweise haben wir dafür keine und wir werden sie vermutlich auch niemals bekommen. Der Mantel des Schweigens hängt über diesen Geschäften, von denen übrigens bis auf die sogenannten Normalbürger eine Menge Leute profitieren: die Kommunen, die Bauland verscherbeln, Anwälte und Bauunternehmen und last, not least Politiker, die sich schmieren lassen. Wusstest du, dass in keinem anderen Land Europas so viel Geld gewaschen wird wie in Deutschland? Wenn ich lese, dass die EU-Kommission die dritte überarbeitete Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche auf den Weg bringen will, kriege ich die Krise. Als ob das etwas bringen würde. Hast du schon mal darüber nachgedacht, warum wir bei den Ermittlungen auf der Stelle treten und keinen Schritt weiterkommen?“
An nichts anderes als an den schleppenden Fortgang der Ermittlungen dachte Verena seit Tagen.
„Weißt du, was ich glaube, Verena? Da dreht jemand ein ganz großes Rad. Jemand mit sehr viel Macht. Jemand, der verhindern möchte, dass die Mordfälle aufgeklärt werden.“
„Du sprichst von einem Politiker? Also ehrlich, Horst, du gleichst Stolli von Tag zu Tag mehr. Du redest von einer Verschwörung und hast nicht den geringsten Beweis dafür in der Hand.“
„Oder von einer Politikerin. Auch das wäre möglich. Jeder in diesem Land weiß, dass Politiker ihre schützende Hand über Bankganoven halten und Milliarden Steuergelder in marode Banken schleusen, um die Verluste von geldgierigen Zockern auszugleichen. So abwegig ist es nicht, dass sie auch mit schwerreichen Wirtschaftsganoven großzügig verfahren und deren Straftaten decken.“ Pieper
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