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Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Titel: Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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jetzt vermutlich stundenlang wach liegen würde.

57
B ERLIN
A PRIL 2010 BIS M ÄRZ 2012
    Die meisten Menschen haben nur ein Leben. Bei mir war das nicht so. Im Alter von zweiundfünfzig Jahren wurde ich am 25. April 2010 ein zweites Mal geboren. Als Ewald Bodendorf, aufgewachsen in der DDR, überzeugter Kommunist und bereits in jungen Jahren Führungsoffizier der Stasi. Nach der Wende war Bodendorf für lange Zeit ins Ausland gegangen, wohin genau, darüber wollte er nicht sprechen. Jetzt, mit Ende vierzig, kehrte er nach Deutschland zurück
.
    Heidkamp war tot. Es geschah ihm nur recht, hatte er doch in seiner grenzenlosen Naivität dem dumpfen Geschwätz der Politiker geglaubt, wenn sie von Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit sprachen und das Gegenteil meinten. Wie dieser scheinheilige Wächter, der den selbstlosen, wohlwollenden Menschenfreund gegeben und in Wirklichkeit Mitglied einer korrupten Seilschaft gewesen war
.
    Martin Heidkamp hatte nach den vordergründigen Regeln der Gesellschaft funktioniert, war pflichtbewusst, zuverlässig und fair gewesen. Und am Ende stand er als Depp da, der von allen fallen gelassen wurde. Ewald Bodendorf würde nicht so blöd sein und auf das Gerede über Anstand, Moral und Mitgefühl hereinfallen. Bodendorf war kein Losertyp wie Heidkamp, er würde am Ende gewinnen, davon war ich überzeugt
.
    Zurück in Deutschland suchte ich mir in Berlin ein unscheinbares Hotel in der Kantstraße, eine bevorzugte Gegend für Zuwanderer aus den ehemaligen GUS-Staaten. Mit seiner heruntergekommenen Fassade und den renovierungsbedürftigen Fenstern wirkte das Haus wenig einladend. Auch das Innere strahlte allenfalls den Charme der Fünfzigerjahre aus. Der unfreundliche Vermieter passte zum Ambiente. In dem mir zugewiesenen Zimmer roch es muffig. Immerhin war es einigermaßen sauber und die Fenster gingen zum Hinterhof hinaus. Als Erstes kaufte ich mir beim türkischen Pizzabäcker um die Ecke eine Salami-Pizza. Dazu trank ich eine Cola, die ich am Bahnhof erstanden hatte. Danach rief ich einen Escortservice an und bestellte eine Prostituierte. Die Frau war für meinen Geschmack zu dünn, sprach kaum Deutsch und war nicht einmal besonders hübsch. Aber sie war blutjung und wichtiger noch: Sie war willig. Heidkamp war niemals brutal gewesen, Bodendorf war es
.
    Später fuhr ich mit der U-Bahn zum Bahnhof Lichtenberg, eine Anlaufstation für den Menschenkreis, zu dem ich Zugang suchte. Das Glück war auf meiner Seite. Bereits nach wenigen Minuten kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch, der vor der U-Bahn-Station herumlungerte. Der Mann mit osteuropäischem Akzent hielt mich für einen potenziellen Kunden und bot mir Stoff an. Als ich ihm erklärte, dass ich nur auf eine Bekannte wartete, erlosch sein Interesse an mir. Eine halbe Stunde später schlenderte ich erneut in seine Richtung. „Sie ist nicht gekommen“, sagte ich, bemüht, betroffen auszusehen
.
    „Scheiß Weiber!“, erwiderte er. „Wir haben auch ständig Stress mit denen.“ Ich gab mich interessiert. „Tatsächlich? Weshalb denn?“Er antwortete nicht, sondern musterte mich nachdenklich. „Hartzer?“, wollte er dann wissen. „Bislang nicht, ich bin erst seit einigen Tagen wieder in Deutschland, ich habe einige Jahre im Ausland gelebt.“
    Der Mann hielt mir eine zerknitterte Schachtel entgegen. Ich lehnte dankend ab. Er blies den Rauch in meine Richtung. „Und jetzt suchst du einen Job?“ Unvermittelt war er ins Du übergegangen. Ich nickte
.
    „Dann hättest du eher nach München oder Stuttgart gehen sollen. Berlin ist geil, um hier zu leben. Aber Jobs findest du hier kaum, als Deutscher schon gar nicht. Die Türken bleiben lieber unter ihresgleichen, die Russen auch. Für uns Deutsch-Russen ist es leichter, Arbeit zu finden.“
    „Nach Westdeutschland gehe ich nicht“, sagte ich mit fester Stimme. „Ich suche einen Job im Büro, ich habe früher ein Kombinat geleitet und war im Ausland als Geschäftsführer tätig.“
    Der Mann warf seinen Zigarettenstummel auf den Boden. Früher hätte mich das gestört. Er sah mich prüfend an. „Ach so? Du bist einer von denen?“
    Erneut nickte ich, als ein Mann die Treppe heraufkam und direkt auf den Dealer an meiner Seite zusteuerte. „Kundschaft, besser du verziehst dich. Ich höre mich mal um. Du findest mich werktags zwischen 12 und 20 Uhr hier. Du kannst auch nach Vladimir fragen. Hier kennt mich jeder.“
    Als ich in mein Hotel zurückging, war ich

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