Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Klinik wissen, die Sie neulich erwähnten“, kam er zum Grund seines Besuches.
Aus großen, mit blauem Kajalstift umrandeten Augen sah sie ihn überrascht an. „Klinik?“
Wagner bemühte sich, seine Ungeduld zu verbergen. „Sie sprachen von einem anonymen Anruf wegen einer Privatklinik in der Nähe von Bad Pyrmont, der Ihren früheren Chef beunruhigt hat.“
„Ach so, das meinen Sie. Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich nichts Genaueres weiß. Ich habe lediglich mitbekommen, dass es bei der Inbetriebnahme Verzögerungen gab. Besser, Sie fragen Herrn Baumgart. Er kann Ihnen sicher mehr sagen.“
„Das würde ich ja gerne, ich kann ihn im Moment aber nicht erreichen. Ich telefoniere seit Tagen hinter ihm her, auch auf Rückrufbitten reagiert er nicht.“
„Typisch, kaum sind wir in der Opposition, zeigen uns die Vertreter der Wirtschaft die kalte Schulter. Mein Rat, fragen Sie Frau Wächter. Die weiß am ehesten Bescheid. Die beiden haben ein sehr intimes Verhältnis gepflegt. Alle Welt wusste davon, nur mein Chef nicht.“ Die gehässige Bemerkung war wohlbedacht. „Sie werden doch sicherlich auch davon gehört haben?“, fügte sie lauernd hinzu.
„Nein, ich habe nichts dergleichen gehört“, log Wagner. „Das ist an mir spurlos vorübergegangen.“ Nichts lag ihm ferner, als ausgerechnet mit Frau Stigler über eine so pikante Angelegenheit zu sprechen. „Es interessiert mich auch nicht im Geringsten, wer mit wem schläft“, fügte er hinzu.
Frau Stigler kräuselte ihren Mund und lächelte spöttisch. „Dann sind Sie der einzige Mann in der Fraktion, der sich für Klatsch und Tratsch nicht interessiert. Aber sei es drum. Warum sprechen Sie nicht mit dem Abgeordneten Römermann? Die Klinik liegt in seinem Wahlkreis, er wird Näheres wissen. Er müsste heute im Haus sein. Der Landwirtschaftsausschuss tagt.“
„Das hatte ich ohnehin vor“, sagte Wagner. Als er die herannahenden, laut klappernden Schritte der Vorsitzenden hörte, verabschiedete er sich hastig.
„Gülleprinz“, wie der Abgeordnete Römermann allgemein genannt wurde, war im letzten Jahr in einen Gülleskandal verwickelt gewesen. Damals hatte Albi als Regierungschef hinter den Kulissen die Strippen gezogen und erreicht, dass die peinliche Angelegenheit auf Sparflamme gekocht wurde. Wagners Job war es gewesen, den Medien klarzumachen, dass der übel riechende Vorfall keineswegs skandalträchtig war, sondern nur eine Unachtsamkeit eines Angestellten. Römermann war am Ende ungeschoren davongekommen. Seither behandelte er Wagner wie einen guten Freund. Jetzt saß Gülleprinz in seinem Büro und telefonierte. Er bedeutete Wagner mit einer einladenden Geste Platz zu nehmen. Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, schimpfte er lautstark los. „Die neue Landwirtschaftsministerin ist eine Zumutung. Wo sie geht und steht, verspritzt sie Gift. Wenn man die auf den Acker schickt, braucht man keine Pestizide mehr. Jetzt will sie doch tatsächlich den langjährigen Präsidenten der Landwirtschaftskammer in die Wüste schicken. Typisch für den Klüngel in der Sozialpartei. Die denken doch immer nur an sich und die Ihrigen. Und dann erst ihre wahnwitzigen Ideen! Von wegen, nur noch den ökologischen Landbau fördern. Wir werden der Dame zeigen, was eine Harke ist. Ich sage Ihnen, Wagner, meine Leute organisieren eine Demo mit allem Drum und Dran. Aus ganz Niedersachsen werden die Bauern mit ihren Treckern anrollen und tonnenweise Gülle vor der Staatskanzlei abladen. Mal sehen, wie dem Regierungschef das gefällt.“ Der Gedanke an die stinkende Gülle vor dem eleganten Foyer der Staatskanzlei besserte Römermanns Laune. Er grinste Wagner frech an.
„Gute Idee“, bemerkte Wagner. Hoffentlich blieb ihm einer der sattsam bekannten Vorträge über die Nachteile des Ökolandbaus erspart. Er hatte Glück, Römermann schenkte ihm seine Aufmerksamkeit.
„Kommen Sie wegen Tobias Wächter? Schlimm, was heutzutage alles passiert. Früher gab es das nicht, da wurde Kriminalität noch bekämpft und nicht nur verwaltet wie heutzutage.“
Wagner setzte sich auf den zierlichen Stuhl gegenüber dem Schreibtisch, der unter seinem Gewicht bedenklich wackelte, und nickte schwach. Ein weiteres Lieblingsthema Römermanns war die viel zu lasche Bekämpfung der Ausländerkriminalität.
Der Abgeordnete nahm erneut den Faden auf. „Tobias wäre der bessere Fraktionsvorsitzende gewesen. Marion Klaßen sieht zwar passabel aus und redet klug daher, hat aber
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