Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
darf uns nicht daran hindern, den Mord aufzuklären. Und jetzt lassen Sie mich bitte allein, aber nett, dass Sie mich sofort informiert haben.“
Nachdem ihr Kollege wieder gegangen war, wandte sich Verena erneut ihrem Computer zu. Sie hatte kaum ein Drittel ihrer Mails gelesen, als Hirschmann in ihr Büro platzte. Der Direktor des LKA wirkte aufgelöst. Sein sonst blasses Gesicht war gerötet, seine Brillengläser beschlagen und seine Haare ungekämmt. Wie immer, wenn er aufgeregt war, beschränkte er sich auf Halbsätze.
„Habe furchtbare Neuigkeiten. Herr Baumgart ist tot! Wurde erstochen!“, stieß er hervor. „Ein Anruf vom LKA Brandenburg. Baumgarts Leiche ist heute Morgen gegen sieben Uhr von einem Jogger entdeckt worden. In einem Waldgebiet bei Sommerfelde.“
Verena lief es kalt den Rücken runter. Baumgart tot! Hätte sie den Mord verhindern können, wenn sie früher tätig geworden wäre?
Noch immer aufgebracht, fuhr der Direktor fort. „Ich frage mich, was ein Mann wie Baumgart in einer so abgelegenen Ecke zu tun hatte.“ – „Um Gottes willen“, entfuhr es Verena. „Sein Büro hat ihn vermisst gemeldet. Er ist von einer Dienstreise nach Berlin nicht zurückgekehrt.“ Das Gesicht des Direktors nahm einen ungläubigen Ausdruck an. Bevor er einen Kommentar abgeben konnte, der bestimmt nicht positiv ausgefallen wäre, fragte sie: „Wo genau liegt denn Sommerfelde überhaupt?“
„Bei Eberswalde, ungefähr fünfzig Kilometer östlich von Berlin.“ Ihr Ablenkungsmanöver erwies sich als erfolglos. Hirschmann roch den Braten. „Sie wussten von Baumgarts Verschwinden? Warum haben Sie mich nicht informiert? Das hätten Sie tun müssen! Unbedingt! Herr Baumgart ist schließlich nicht irgendwer.“
„Das wollte ich, heute“, log sie. „Er hatte einen Termin bei einem Geschäftspartner in Berlin. Boris Milner heißt der Mann, ein russischer Oligarch. Angeblich ist er dort nicht angekommen. Ich habe einen unserer Berliner Kollegen um Amtshilfe ersucht. Leider erfolglos. Der Kollege hat gemauert.“
Hirschmanns verkrampfte Gesichtszüge entspannten sich. „Sie haben die Berliner Polizei eingeschaltet? Das ist gut, sehr gut sogar. Uns sind also keinerlei Versäumnisse nachzuweisen. Wir haben unsere Pflicht getan.“ Das war mal wieder typisch Hirschmann. Das Ansehen seiner Behörde war wichtiger als der Mord. Er kratzte sich am Kopf. „Der Name Milner kommt mir bekannt vor. Hatte er nicht mit den Staatskanzleimorden zu tun?“
Verena nickte. „Der Deutschrusse namens Mahow, der seinerzeit die Ministerialrätin niedergeschlagen hat, hat für Milner gearbeitet. Mahow konnte nicht mehr vernommen werden, er hat sich in der Untersuchungszelle erhängt.“
Hirschmann runzelte die Stirn. „Der Muskelprotz im Liebeswahn hat sich erhängt?“
Verena half seinem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge. „Ja, allem Anschein nach. Stollmann hatte allerdings Zweifel. Aber niemand wollte davon etwas hören. Milner, ein ehemaliger KGB-Offizier, soll sein Geld mit Mafiageschäften gemacht haben. Er hat ein Büro in Berlin und eine Villa in Potsdam, wo er lebt.“
Ihr Vorgesetzter verzog angewidert sein Gesicht. „KGB? Russenmafia? Minister Lühmann dreht durch, wenn ich ihm damit komme. Das alles passt überhaupt nicht in das neue Sicherheitskonzept der Landesregierung. Deeskalation ist angesagt. Keine organisierte Kriminalität in Niedersachsen, kein Terrorismus, keine Mafia. Davon wollen die Oberen nichts hören.“
Verena konnte sich eine zynische Bemerkung nicht verkneifen. „Es wäre zu schön, wenn sich die Kriminellen an die politischen Vorgaben halten würden. Das tun sie aber leider nicht.“
Hirschmann, ein trockener Bürokrat, der für Humor nicht viel übrig hatte, ging auf Verenas Bemerkung nicht ein. „Höchste Zeit, dass Sie mit diesem Milner sprechen, Frau Hauser. Es ist doch eigenartig, dass Herr Baumgart ausgerechnet auf dem Weg zu ihm verschwindet und kurz darauf ermordet wird.“
Genauso merkwürdig wie seinerzeit die Tatsache, dass die Ministerialrätin der Staatskanzlei kurz nach ihrem Besuch bei Milner von einem seiner Leute zum Krüppel geschlagen worden war, dachte Verena. Die damals verbreitete, offizielle Version, dass Mahow aus enttäuschter Liebe gehandelt hatte, war Stollmann und ihr übel aufgestoßen. Sie hatten die Kröte dennoch schlucken müssen. Die Anweisung, nicht weiter zu ermitteln, kam von ganz oben.
„Ich habe gestern mit Milners Büro telefoniert. Er war
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