Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
nicht zu sprechen. Aber jetzt gibt es eine Leiche, da kann er sich einer Vernehmung nicht länger entziehen.“
Hirschmann runzelte die Stirn. „Vernehmung? Sie sprechen von einer offiziellen Vorladung? Das ist Sache der Berliner Polizei. Rufen Sie ihn einfach nur an und fühlen Sie ihm auf den Zahn, ich will keinen Ärger wegen überschrittener Zuständigkeiten.“
Das war wieder einmal typisch für Hirschmann. Er versteckte sich hinter Zuständigkeitsregeln. „Wer war der Jogger, der ihn gefunden hat?“, erkundigte sich Verena.
„Der Mann arbeitet bei der Stadtverwaltung in Eberswalde, wohnt in Sommerfelde und joggt zweimal die Woche vor dem Dienst. Er musste pinkeln und hat dabei den Toten im Unterholz entdeckt. Mein Kollege vom LKA Brandenburg ist sofort hellhörig geworden. Das Wochenjournal berichtet ja oft genug über Baumgart und seine legendären Feten in Hannover. Von den vielen bebilderten Homestorys in Boulevardmagazinen ganz zu schweigen.“
Er zögerte, runzelte nachdenklich seine Stirn. „Vielleicht ist es besser, wenn Sie nach Eberswalde fahren, Frau Hauser, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Die Leiche muss so schnell wie möglich nach Hannover überführt werden. Ehrlich gesagt ist mir wohler, wenn Muench die Obduktion vornimmt. Ich traue den Brüdern in Eberswalde nicht. Mit Milner können Sie danach immer noch telefonieren.“
Verena war überrascht. „Sie trauen den Kollegen beim LKA Brandenburg nicht?“, vergewisserte sie sich.
„Nun ja … Beim LKA Brandenburg sind an die hundert ehemalige Angehörige der Stasi beschäftigt. Nicht, dass ich Vorurteile habe, beileibe nicht! Die Leute konnten vermutlich nicht anders. Aber wenn ich höre, dass Milner ein russischer Oligarch ist, schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. Die Seilschaften zwischen KGB und Stasi existieren nach wie vor. Mir ist nicht wohl bei der Vorstellung, dass ausgerechnet die Kollegen aus Brandenburg einen Mordfall aufklären sollen, in den ein ehemaliger KGB-Mann verstrickt ist. Und Baumgart ist niedersächsischer Bürger. Wir haben jedes Recht der Welt, uns vor Ort ein eigenes Bild zu verschaffen.“
„Wir sollten die Brandenburger Kollegen nicht unter Pauschalverdacht stellen“, merkte Verena an.
Hirschmann setzte ein beleidigtes Gesicht auf. „Wollen Sie ausgerechnet mir Intoleranz vorwerfen? Mir, der sich für mehr Frauen und Migranten im Polizeidienst einsetzt!“
Verena fand die Gleichstellung von Stasi-Seilschaften, Migranten und Frauen bemerkenswert, verzichtete aber auf einen Kommentar. Stattdessen erkundigte sie sich nach Einzelheiten: „Was sagt Ihr Kollege aus Eberswalde zu der Rückführung der Leiche?“
„Wendt? Ich habe ihn darauf noch nicht angesprochen. Ich dachte, dass ein persönliches Gespräch sich besser dafür eignet. Sie sollten sich noch heute auf den Weg machen. Ich werde meinen Kollegen gleich anrufen und über Ihre Ankunft in Kenntnis setzen.“
Na toll, dachte Verena. Jürgen wird stinksauer sein. Die Umzugskisten waren noch immer nicht ausgepackt. Auch dienstlich passte ihr der Abstecher nach Brandenburg überhaupt nicht. Gespräche mit Stutz, dem Privatdetektiv Lentz und Frau Wächter standen auf ihrem ohnehin prall gefüllten Terminplan. Aber den Sturkopf Hirschmann von einer Weisung abzubringen, war aussichtslos. Sie versuchte es erst gar nicht, sondern beauftragte Assistentin Schramm damit, die Termine zu verschieben und eine Fahrkarte nach Eberswalde zu besorgen. Ihre neugierigen Fragen ignorierte Verena. Hirschmann wollte es übernehmen, die Mitarbeiter der Soko Wächter über den neuen Mordfall zu informieren. Zumindest das blieb ihr erspart.
24
E BERSWALDE
Gereizte Fahrgäste, quengelnde Kinder, brechend volle Waggons und schlecht gelaunte Schaffner. Der ICE von Hannover nach Berlin war überfüllt. Nur in der ersten Klasse gab es noch Sitzplätze. Die Behörde würde die Kosten dafür nicht übernehmen. Verena blieb also nichts anderes übrig, als eingepfercht zwischen Koffern im Gang zu stehen, was weder ihrem Rücken noch ihrer Stimmung guttat. Hinter Wolfsburg gab es einen unerwarteten Stopp. Ein Diebstahl, es fehlten Obergleise. Die Verspätung betrug fast eine Stunde. Auch der Regionalzug von Berlin nach Eberswalde war zum Bersten voll. Immerhin ergatterte Verena hier noch einen Sitzplatz.
Die Busfahrt vom Bahnhof zum LKA Brandenburg versetzte sie in Staunen. Direktor Hirschmann, ungekrönter König des LKA für Ortsbeschreibungen – gab es doch kaum ein
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