Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
schweigend nebeneinander her zum Besprechungsraum, der vorübergehend sein Arbeitszimmer gewesen war. Dort lagen ordentlich sortiert die Bilanzen, Steuerunterlagen und Auftragsdateien. „Es ist alles noch da“, sagte er und lächelte herablassend. Für das fiese Grinsen hätte ich ihm am liebsten eine geknallt
.
Als er endlich gegangen war, fühlte sich mein Kopf schwer an. Ich ging zum Fenster, öffnete es weit und schnappte begierig nach Luft. Wie lange ich am Fenster gestanden habe, weiß ich nicht mehr. Es muss lange gewesen sein. Hinterher war ich ausgekühlt
.
Den Rest des Tages war ich unkonzentriert und fahrig. Meine Sekretärin warf mir fragende Blicke zu, sagte aber nichts. Als ich früher als üblich nach Hause fuhr, redete ich mir ein, dass Ansgar Müller meinem Unternehmen nichts anhaben könnte. Er war ein unseriöser, windiger Berater, ich dagegen Inhaber einer alteingesessenen mittelständischen Firma. An Schlaf war in dieser Nacht trotzdem nicht zu denken
.
Am nächsten Morgen führte mich mein erster Weg zu meiner Bank. Ich hatte wertvolle Zeit verloren. Der Leiter der Kreditabteilung gab sich jovial, drängte aber auf Eile. Mein Haus als zusätzliche Sicherheit wäre fürs Erste ausreichend, meinte er. „Wieso fürs Erste?“, wollte ich wissen. Er antwortete ausweichend. Ich fühlte mich schlecht behandelt, hatte aber keine andere Wahl. Es dauerte nicht einmal eine Woche, bis die Formalitäten erledigt waren und mein Wohnhaus der Bank als Sicherheit überschrieben war
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23
H ANNOVER , L ANDESKRIMINALAMT
A NFANG A PRIL 2012
Immer noch kein Lebenszeichen von Baumgart, obwohl seit seinem Verschwinden bereits vier Tage vergangen waren. Notgedrungen hatte Verena inzwischen ihre Kollegen von der Affäre zwischen Baumgart und Frau Wächter in Kenntnis gesetzt. Wie nicht anders zu erwarten, hatte Kriminalrat Hetzel auf ihre Enthüllung mit einem gehässigen Kommentar reagiert. Auch Jürgen konnte bei der Berliner Polizei nichts ausrichten. Der Polizeipräsident, den er recht gut kannte, befand sich im Urlaub in der Toskana. Sein Handy hatte er abgestellt. So blieb Verena nur der offizielle Dienstweg.
Ihr Berliner Kollege zeigte ihr jedoch die kalte Schulter. „Was glauben Sie, wie viele Vermisstenanzeigen wir tagtäglich bekommen? Außerdem wissen Sie doch gar nicht, ob der Gesuchte sich überhaupt in Berlin aufgehalten hat.“
So schnell wollte sich Verena nicht abwimmeln lassen. „Im ICE nach Berlin hat Herr Baumgart jedenfalls gesessen, dies hat die Zugbegleiterin bestätigt. Sie hat ihm einen Kaffee und das Handelsjournal gebracht. Da der Zug von Hannover bis Berlin durchgefahren ist, muss Herr Baumgart dort angekommen sein.“
Ihr Kollege wollte darauf nicht eingehen und hielt dagegen. „Das mag sein, bedeutet aber nichts. Er kann am Hauptbahnhof umgestiegen und nach Potsdam, Posen oder sonst wohin gefahren sein.“
Nach weiterem vergeblichen Zureden gab Verena schließlich entnervt auf. Ihr waren die Hände gebunden. Die Polizeihoheit lag bei den Ländern, sie hatte keinerlei Befugnisse. Und das BKA einzuschalten, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen. Die Länder wandten sich nur in aussichtslosen Fällen an die Bundesbehörde, und so weit war es noch lange nicht.
Auch Verenas neuerlicher Versuch, Boris Milner zu erreichen, verlief im Sande. Dieses Mal meldete sich eine Frau, der deutschen Sprache kaum mächtig, die lediglich die Worte hervorbrachte: „Chef nicht da sein.“
Für den späten Vormittag war Verena bei Frau Wächter angemeldet, danach wollte sie die Privatdetektei Lentz aufsuchen. Doch zuvor wollte sie sich ihren E-Mails widmen – zweiundvierzig neue Nachrichten.
Mittendrin platzte Kleinsorge in ihr Büro. „Der Abgeordnete Stutz hat für die Tatzeit ein Alibi, er hat an einer Sitzung des Petitionsausschusses teilgenommen“, teilte er Verena mit.
„Das allein schließt ihn nicht als Tatverdächtigen aus“, gab Verena zu bedenken. „Er kann jemand anderen beauftragt haben. Im Steintorviertel findet sich immer jemand, der gegen Bezahlung zum Messer greift. Immerhin hat Wächter seinen Rausschmiss aus der Fraktion betrieben. Für Stutz ging es um seine Existenz.“
„Ja, das ist wohl wahr. In meinen Augen war Wächter ein Schwein. Stutz war doch schon gestraft genug, hatte alle wichtigen Ämter verloren und ist monatelang von der Presse madig gemacht worden, bevor er abgewählt wurde. Da musste Wächter doch nicht noch hinterher treten. Mieser Typ!“
„Das
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