Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
ihm liegende Gespräch mit Marion Klaßen hatte Wagner aufgewühlt. Angeblich war es ihr nur darum gegangen, ihn über den Mordfall Baumgart zu informieren, doch in Wirklichkeit hatte sie ihn mit insistierenden Fragen gelöchert. „Was genau hat Wächter Ihnen erzählt? Warum glauben Sie, dass der Mord etwas mit der Klinik in der Nähe von Bad Pyrmont zu tun hat? Weshalb haben Sie versucht, Herrn Baumgart telefonisch zu erreichen?“
Wagner war sich wie ein Pennäler vorgekommen, der auf Herz und Nieren geprüft wird. Römermann musste geplaudert haben, vielleicht war es auch das Vorzimmer von Baumgart gewesen – oder gar beide. Marion Klaßen verstand es, Menschen für sich einzunehmen. Sie gab ihnen das Gefühl, wichtig zu sein und von ihr geschätzt zu werden. Und sie konnte sehr nett lächeln. Außerdem wurde sie in den Medien als aufsteigender Politstar gefeiert. Es kann nicht schaden, ihr gefällig zu sein, mochten viele denken.
Wagner hatte im Verlauf des Gesprächs den Eindruck gewonnen, dass sie sämtliche Fäden in der Hand hielt und alle wichtigen Informationen über den Mordfall Wächter auf ihrem Schreibtisch landeten. Vielleicht war das sogar nachvollziehbar, denn auch wenn Wächter und sie Erzfeinde gewesen waren, so war er immerhin Mitglied der von ihr geführten Fraktion gewesen.
Nur weshalb interessierte sie sich so brennend dafür, was er wusste? War sein erster Eindruck richtig gewesen und sie womöglich selbst in den Mord an Wächter verwickelt? Noch immer sträubte sich alles in ihm gegen diese Vorstellung. Es konnte einfach nicht sein. Dann ging ihm Uwe Stein durch den Kopf. Auch damals hatte Wagner dessen Verstrickung in kriminelle Machenschaften nicht wahrhaben wollen. Am Ende hatte er einsehen müssen, dass er sich geirrt hatte. Der Parteivorsitzende Albi hatte ihm mehr als einmal vorgehalten: „Sie neigen dazu, sich die Welt schönzureden und die Augen vor der Realität zu verschließen, Wagner. Übrigens keine schlechte Voraussetzung, um in der Politik Karriere zu machen. Der Job eines Politikers verlangt es, Optimismus zu verbreiten und negative Entwicklungen zu leugnen. Im Grunde genommen wollen die Menschen zuversichtliche Politiker, die Krisen gekonnt wegreden und Scheiße zu Schokolade erklären. Als Politikberater müssen Sie jedoch den Dingen auf den Grund gehen und die Realität so annehmen, wie sie ist.“
Andererseits war es Albi gewesen, der Marion Klaßen gefördert hatte. Und der alte Parteistratege hatte über eine gute Menschenkenntnis verfügt. Nein, redete er sich erneut ein. Es kann einfach nicht sein, dass sie in Kapitalverbrechen verwickelt ist. Dass nun auch Baumgart ermordet worden war, entlastete Marion Klaßen in Wagners Augen. Bei Wächter hätte sie ein Motiv gehabt. Sie hatten sich gehasst. Bei Baumgart verhielt es sich anders. Der Großinvestor war der wichtigste Geldgeber der Bürgerpartei und niemand wusste besser als die Vorsitzende, wie schlimm es um die Finanzen der Partei bestellt war. Aus Sicht der Partei wäre es einfach töricht, ihn umzubringen. Und Marion Klaßen war nicht nur berechnend, sie war auch schlau.
Trotz ihrer durchdringenden Blicke, unter denen Wagner sich nackt vorgekommen war, waren seine Antworten vage geblieben. Von seinen Erkenntnissen und der geplanten Fahrt nach Bad Pyrmont hatte er kein Wort verlauten lassen. Sollte sie jemals dahinterkommen, würde das unangenehme Folgen für ihn haben. Sie würde ihn auf der Liste ihrer parteiinternen Gegner an die erste Stelle setzen, für Wagner keine angenehme Vorstellung. Mit solchen Leuten ging Marion Klaßen nicht zimperlich um. Das hatte sie mehr als einmal unter Beweis gestellt. Gnadenlos nutzte sie jede noch so kleine Schwäche ihrer parteiinternen Gegner aus, um sie abzuschießen. Mit ihm würde sie nicht anders verfahren. Da gab er sich keinen Illusionen hin. Und die Liste der potenziellen Nachrücker für Landtagsmandate war lang, sehr lang.
Die Fahrt Richtung Südwesten durch die beschauliche niedersächsische Landschaft mit Feldern, Baumgruppen und Kuhweiden, dazwischen schöne Dörfer mit roten Backsteingebäuden, tat Wagner gut. Nachdem er die Rattenfängerstadt Hameln passiert hatte, bog er nach einigen Kilometern entlang der sich sanft dahinschlängelnden Weser in die Landstraße nach Bad Pyrmont ein. Mit dem Weserbergland verbanden Wagner Erinnerungen an die unbeschwerten Urlaube seiner Kindheit. An Dampferfahrten, Wanderungen durch dichte Wälder, zu verwunschenen
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