Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
muss mich demütigen, ich muss mich einer höheren Macht beugen, um mich selbst zu vervollkommnen.«
Abwartend stand ich vor ihm. Ich wollte sehen, was er als Nächstes tat, bevor ich mich zu seiner Antwort äußerte. Aber dass er mich, seine Maestra, als höhere Gewalt bezeichnete, war ein erster Schritt. Ja, ich besaß die beängstigende Macht über Leben und Tod. Über seinen Tod. Und damit eine furchtbare Verantwortung.
Erwartungsvoll streckte er mir seine Hände entgegen. » Acceptasme? Nimmst du mich als deinen Schüler an?«
Ich nahm seine Hände in die meinen. »Accepto.«
Während Rodrigo das Gelübde des verum, sine mendacio, certum et verissimum ablegte, fragte ich mich erneut, wie ein Alchemist »aufrichtig, ohne Täuschung, seines Selbst sicher und der Wahrheit verpflichtet« sein konnte, wenn er überleben wollte. Ich jedenfalls war nicht aufrichtig, als ich mich entschloss, den Papst als Schüler aufzunehmen, denn ich tat es nicht um seiner selbst willen, sondern um in ihm ein mächtiges Werkzeug zu haben, falls Cesare mein Leben bedrohte. Ich wusste, auf welch gefährliches Spiel ich mich da einließ. Denn je mehr Geheimnisse ich Rodrigo verriet, je mehr Wissen er besaß, desto weniger brauchte er mich …
Nach dem Gelübde wollte ich Rodrigo aufhelfen: Er war mittlerweile siebzig Jahre alt. Aber er schüttelte ungeduldig meine Hand ab. »Es schien dir Spaß zu machen, mich so lange vor dir im Staub liegen zu sehen«, beschwerte er sich über die demütigenden Zeremonien der Initiation.
»Wenn es dir in meinem Laboratorium zu schmutzig ist, könntest du als mein Schüler zum Besen greifen und ein wenig Staub aufwirbeln …«, neckte ich ihn.
Er ignorierte meine Bemerkung. »Die Zeremonien erinnern mich an meine Papstwahl«, erklärte er. »Damals verbrannte allerdings Johannes Burkhard einen Zettel mit meinem Namen und rief: › Sic transit gloria mundi – so vergeht der weltliche Ruhm‹.« Mit einer weiten Geste schloss er das ganze Laboratorium in seine Worte mit ein: »Aber hier wird la gloire immortelle, der weltliche Ruhm, erschaffen!«, rief er begeistert. »Und so manch anderes Toxikum, das den Geist vernebelt.«
Er ging an den Apparaturen zur Herstellung von Veleno und Vanità und einem Stapel gnostischer und kabbalistischer Schriften vorbei zu einem Topf mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit, die seit Stunden auf dem Feuer vor sich hin simmerte. Insgeheim fragte ich mich, wie lange er mein Studium von Werken stillschweigend ignorieren oder aus eigenem Interesse dulden und sogar ermutigen würde, die durch die Kirche verboten waren. Jedes einzelne dieser Bücher konnte mein Todesurteil durch die Inquisition bedeuten, und er war schließlich der Papst …
»Was ist das?«, fragte Rodrigo neugierig und deutete auf die Flüssigkeit. »Es duftet verführerisch!«
»Götternahrung«, erklärte ich wahrheitsgemäß.
»Götternahrung? Hast du heute Nacht das Elixirium gefunden?«
»Nein, Rodrigo. Das ist Chocolatl, ein berauschender Trank, den mein Cousin Amerigo Vespucci auf seiner Reise nach Indien kennen gelernt hat. Als er nach Spanien zurückkam, hat er mir einen Sack dieser Bohnen nach Mailand geschickt. Heute Nacht habe ich ein wenig damit experimentiert.«
Rodrigo tauchte den Finger in die warme Masse und naschte von der Chocolatl. »Hmmm … wirklich gut«, fand er und suchte nach einem Löffel, um mehr zu probieren. »Woraus besteht diese … diese Cioccolata ?«
»Aus den gerösteten und gemahlenen Bohnen des Cacauatl -Baums, der in den von Amerigo entdeckten Ländern wächst. Ich habe das Pulver mit Butter und Zucker verrührt und mit rotem Chili-Pfeffer abgeschmeckt.«
»Es schmeckt ganz hervorragend!«, meinte Rodrigo und tauchte seinen Löffel zum vierten Mal in die bittersüße Masse. »Ich glaube, du hast einen Weg gefunden, Gold zu machen, Maestra. Wir verkaufen diese Cioccolata. Was hältst du von dieser Idee?«
»Das solltest du nicht mich fragen, Rodrigo, sondern deinen Bankier Agostino Chigi. Der muss nämlich erst einmal eine Flotte von Schiffen finanzieren, die über den Ozean segelt, um die Cacauatl -Bohnen nach Europa zu bringen. Bis du Agostino überredet hast, hat Cesare halb Italien erobert.«
»Agostino ist ein Genießer, lass ihn die Cioccolata probieren.« Er naschte einen weiteren Löffel voll. »Im Übrigen hast du mit deiner Einschätzung von Cesares Fähigkeiten als Feldherr Recht. Er hat nach Imola nun auch Forli erobert und Caterina Sforza
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