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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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wenn Fabrizzio ihn Exzellenz nannte.)
    »Ich bin wie aus den Wolken gefallen. Nichts verstehe ich vom Wesen der Menschen. Wenn ich seinen Ruf nicht kennte, ich hätte gewettet, er könne kein Huhn schlachten sehen.«
    »Und die Wette hätten Sie gewonnen« entgegnete der Graf. »Aber wenn er vor dem Fürsten steht oder nur vor mir, so kann er nicht nein sagen. Allerdings, um zur vollen Wirkung zu kommen, muß ich das große gelbe Ordensband überm Rock tragen. Im Frack widerspräche er mir. Wenn ich ihn empfange, trage ich auch immer Uniform. Es kommt uns nicht zu, das Ansehen der Macht zu untergraben; das besorgen die französischen Zeitungenschon rasch genug. Wer weiß, ob das Katzbuckeln nicht eher stirbt als wir! Aber Sie, mein lieber Neffe, Sie werden den Respekt überleben. Sie, Sie werden ein Mustermensch werden!«
    Fabrizzio gefiel sich ungemein im Umgang mit dem Grafen. Er war der erste höhere Mensch, der sich herabließ, mit ihm ohne Umschweife zu reden. Überdies hatten sie eine gemeinsame Liebhaberei: die für Altertümer und Ausgrabungen. Der Graf fühlte sich seinerseits durch die grenzenlose Aufmerksamkeit geschmeichelt, mit der ihm der junge Mann zuhörte. Aber etwas mißfiel ihm gewaltig: Fabrizzio hatte seine Wohnung in der Casa Sanseverina; er lebte mit der Duchezza zusammen und ließ sich in aller Unschuld anmerken, dass ihn dieser vertrauliche Verkehr beglückte. Fabrizzios Augen und seine frische Hautfarbe brachten den Grafen zur Verzweifelung. Seit langem ärgerte sich Ernesto Ranuccio IV., dem Sprödigkeit selten vorgekommen war, dass die am Hofe sattsam bekannte Tugend der Duchezza keine Ausnahme zu seinen Gunsten machte. Wir wissen, dass ihm Fabrizzios Klugheit und Geistesgegenwart vom ersten Tage an mißfallen hatten. Er nahm die außerordentliche Freundschaft übel, die seine Tante und er leichtsinnig zur Schau trugen, und lieh dem maßlosen Hofklatsch ein besonders geneigtes Ohr. Die Ankunft des jungen Mannes und der so ungewöhnliche Empfang, der ihm zuteil geworden war, gaben vier Wochen lang dem Gespräch und der Verwunderung aller Adligen im Staate Parma immer wieder neue Nahrung. >Wir sind im Jahrhundert der Ungeheuerlichkeiten!< sagte man mit einem Augenaufschlag gen Himmel. Da hatte Serenissimus einen Einfall.
    Es gab in der Leibgarde einen Grenadier ohne Rang, der eine unglaubliche Menge von Wein vertrug; dieser Mann verbrachte sein Leben im Wirtshaus und unterrichtete den Monarchen ohne Zwischenpersonen über die Stimmung im Heer. Carlone besaß nicht die geringste Bildung, sonst wäre er längst mehr geworden. SeinDienst war, sich alle Tage im Schloß einzufinden, wenn die grosse Turmuhr zwölf schlug. Der Fürst stellte kurz vor Mittag höchstselbst den Laden eines Fensters im Zwischenstock, neben seinem Ankleidezimmer, auf eine bestimmte Art. Mit dem letzten Schlag zwölf kam er wieder in den Zwischenstock, wo er den Soldaten vorfand.
    Der Fürst hatte in seiner Tasche ein Blatt Papier und Schreibzeug und diktierte dem Mann folgende Zeilen:
    ›Eure Exzellenz besitzen ohne Zweifel viel Verstand, und nur Dero tiefer Weisheit verdanken wir die so treffliche Regierung unseres Landes. Allein, mein lieber Graf, so grosse Erfolge ziehen stets ein wenig Mißgunst nach sich, und darum fürchte ich stark, dass man sich ein bisschen auf Ihre Kosten lustig macht, wenn Ihr Scharfsinn nicht dahinterkommt, dass ein gewisser fescher junger Mann das Glück hat, vielleicht wider seinen Willen, eine ganz merkwürdige Leidenschaft zu verursachen. Der glückliche Sterbliche soll erst dreiundzwanzig Jahre alt sein, und, lieber Graf, es ist eine verzwickte Geschichte, Sie wie ich sind alle beide reichlich doppelt so alt. Abends, aus einer gewissen Entfernung, ist der Graf ein entzückender, sprühender, geistreicher und überaus liebenswürdiger Mann, allein früh, in nächster Nähe, ist der Eindringling, wenn man sichs recht besieht, vielleicht verführerischer. Nun geben wir Frauen, besonders wir, die wir die Dreißig hinter uns haben, viel auf Jugendfrische. Spricht man nicht sogar bereits davon, dass dieser liebenswürdige Jüngling durch irgendeine nette Stellung ganz an unseren Hof gefesselt werden soll? Und welche Person spricht denn mit Eurer Exzellenz am häufigsten davon?‹
    Der Fürst nahm den Brief und gab dem Grenadier zwei Taler.
    »Das ist ganz extra!« sagte er mit finsterer Miene zu ihm. »Unverbrüchliches Stillschweigen gegen jedermann oder das feuchteste Kellerloch in der

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