Die Kartause von Parma
mich reizt: Ich kann, was ich will! Ich füge sogar eine Dummheit hinzu: Ich muß glücklicher sein als andere, weil ich besitze, was die anderen nicht haben: Herrschergewalt in drei Vierteln aller Dinge. – Nun, wir wollen gerecht sein: dieser gewohnheitsmäßige Gedanke muss mir mein Lachen vergiften, muß mir etwas wie selbstzufriedene Eigenliebe verleihen. Wie reizend dagegen ist sein Lachen! Er besitzt den siegesfrohen Zauber der ersten Jugend und überträgt ihn auf andere.‹
Zum Unglück für den Grafen war die Luft an jenem Abend heiss, drückend, gewitterschwül, kurzum, es war einer jener Tage, die in südlichen Ländern zu gewaltsamen Entschlüssen verleiten. Es würde zu weit führen, alle Gedankengänge und Standpunkte aufzuzählen, die diesen leidenschaftlichen Mann drei qualvolle Stunden hindurch folterten. Schließlich gab der Verstand den Ausschlag, einzig und allein auf Grund folgender Überlegung: ›Ich bin wahrscheinlich toll. Ich bilde mir ein, vernünftig zu denken, und denke gar nicht vernünftig; ich drehe mich nur im Kreise herum, um einen weniger grausamen Zustand zu schaffen, und renne dabei an einem entscheidenden Entschluss vorbei. Da mich das Übermaß des Schmerzes blind gemacht hat, muss ich mich an die Regel aller klugen Leute halten, die da heisst: Vorsicht! Sonst, wenn das Schicksalswort Eifersucht einmal gefallen ist, steht meine Rolle ewiglich fest. Sage ich dagegen heute nichts, dann kann ich morgen sprechen und bleibe Herr über das Ganze.‹Die Krise war allzu heftig; der Graf wäre wahnsinnig geworden, wenn sie länger gedauert hätte. Für Augenblicke fühlte er sich erleichtert; seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Brief ohne Unterschrift. Von wem konnte er kommen? Er zählte sich eine Reihe Personen auf und urteilte über jede. Das lenkte ihn ab. Endlich erinnerte er sich an ein boshaftes Flackern im Auge des Fürsten, als er ihm gegen Ende des Empfangs sagte: ›Ja, teurer Freund, gestehen wir es uns nur, die Genüsse und die Sorgen des glücklichsten Ehrgeizes, selbst der unbeschränktesten Macht sind nichts gegen das stille Glück zärtlicher Liebe. Über dem Fürsten bin ich Mensch, und wenn ich das Glück habe, zu lieben, dann hat es meine Geliebte mit dem Menschen zu tun, nicht mit dem Fürsten.‹ Der Graf brachte dieses Aufleuchten boshaften Glücks mit folgender Wendung in dem Brief in Beziehung: ›Nur Dero tiefer Weisheit verdanken wir die so treffliche Regierung unseres Landes.‹
»Der Satz rührt vom Fürsten her!« rief Mosca aus. »Von einem Mann am Hofe wäre er eine unverantwortliche Unvorsichtigkeit. Der Brief kommt von Serenissimus!«
Als das Rätsel gelöst war, machte die kleine Freude des Erratens bald wieder dem quälenden Gedanken an die liebenswürdige Anmut Fabrizzios Platz, der ihn abermals heimsuchte. Wie eine Riesenlast fiel es von neuem auf das Herz des Unglücklichen. »Was nützt es mir, zu wissen, von wem der Brief ohne Unterschrift ist!« rief er voller Wut. ›Die Tatsache, die er mir enthüllt, bleibt nichtsdestoweniger bestehen. Diese Laune kann mein Leben umwerfen!‹ sagte er sich wie zur Entschuldigung, dass er so närrisch war. »Wenn sie ihn in bewußter Weise liebt, dann reist sie unversehens mit ihm ab, nach Belgirate, nach der Schweiz, nach irgendeinem Winkel der Welt. Sie ist reich, aber auch wenn sie mit ein paar Louisdor jährlich auskommen müßte, was stört sie das? Hat sie mir nicht vor kaum acht Tagen gestanden, ihr Palast, der so hübsch eingerichtet, so prächtig ist, langweile sie?Ihre jugendliche Seele braucht Abwechselung! Und wie einfach und natürlich bietet sich ihr dies neue Glück! Ehe sie an die Gefahr denkt, wird sie hingerissen sein, ehe sie daran denkt, mich zu bedauern! Und doch bin ich so unglücklich!« rief der Graf und brach in Tränen aus.
Er hatte sich das Gelübde gegeben, diesen Abend nicht zur Duchezza zu gehen, aber er konnte es nicht halten; nie hatten seine Augen heftiger nach ihrem Anblick gedürstet. Gegen Mitternacht fand er sich bei ihr ein. Er traf sie allein mit ihrem Neffen; um zehn Uhr hatte sie die übrigen verabschiedet und die Haustür schliessen lassen. Beim Anblick der zärtlichen Vertraulichkeit, die zwischen den beiden Menschen herrschte, und des echten Frohsinns der Duchezza türmte sich vor den Augen des Grafen eine furchtbare Schwierigkeit auf, und ganz plötzlich! Während seiner langen Grübelei in der Gemäldegalerie hatte er nicht an das Eine gedacht: Wie
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