Die Kartause von Parma
empfände. Das wäre eine unverzeihliche Beleidigung...‹
Während er diese wichtigen Gedanken gegeneinander abwog, lief er, ohne es zu wissen, mit ernstem und herrischem Gesicht im Gemach hin und her, wie ein Mann, der zehn Schritt vor sich das Unglück sieht. Die Duchezza sah ihm mit Bewunderung zu. Das war nicht mehr das Kind, dessen Geburt sie beigewohnt hatte; das war nicht mehr der allzeit getreue Neffe. Das war ein ernster Mann, von dem geliebt zu werden köstlich sein mußte. Sie erhob sich von der Ottomane, auf der sie gesessenhatte, und warf sich leidenschaftlich in seine Arme: »Du willst mich also fliehen?« fragte sie.
»Nein,« erwiderte er mit der Miene eines römischen Imperators, »aber ich will vernünftig sein.«
Dieses Wort ließ verschiedene Deutungen zu; Fabrizzio fühlte nicht den Mut in sich, weiter zu gehen, auf die Gefahr hin, dieses anbetungswürdige Weib zu verletzen. Er war zu jung, zu empfänglich für Gemütsbewegungen; sein Geist kam ihm mit keiner liebenswürdigen Wendung zu Hilfe, mit der er hätte ausdrücken können, was er sagen wollte. In einer natürlichen Wallung, aller Vernunft entgegen, nahm er die verführerische Frau in seine Arme und bedeckte sie mit Küssen. Im selben Augenblick hörte man den Wagen des Grafen in den Hof einfahren, und fast unmittelbar darauf erschien er selbst im Gemach. Er war sichtlich sehr bewegt.
»Sie flößen merkwürdige Leidenschaften ein«, sagte er zu Fabrizzio, den dieser Ausdruck ganz verdutzt machte. »Der Erzbischof hatte heute abend seinen gewohnten Donnerstagsempfang bei Serenissimus. Soeben hat mir der Fürst erzählt, der Erzbischof habe mit verstörter Miene eine auswendig gelernte, höchst gelehrte Rede angehoben, von der Durchlaucht zunächst nichts verstanden habe. Am Schluß habe Landriani erklärt, es sei wichtig für die parmesanische Kirche, daß Monsignore Fabrizzio del Dongo zum Ersten Großvikar ernannt werde und später, nach Vollendung seines vierundzwanzigsten Lebensjahres, zum Koadjutor und künftigen Nachfolger.
Ich gestehe,« fuhr der Graf fort, »dieses Wort hat mir Schrecken eingejagt. Das war doch ein wenig zu rasch. Ich fürchtete eine Anwandlung von schlechter Laune bei Serenissimus. Statt dessen sah er mich lachend an und sagte auf französisch zu mir: ›Das ist einer Ihrer Streiche, Graf!‹ – ›Ich kann es vor Gott und vor Eurer Hoheit beschwören,‹ habe ich ihm möglichst salbungsvoll geantwortet, ›daß ich von der späteren Nachfolge nicht dieleiseste Ahnung hatte.‹ Damit habe ich die Wahrheit gesagt, wie wir sie erst vor ein paar Stunden hier besprochen haben. Ich habe nachdrücklich hinzugesetzt, ich würde es als die höchste Gnade ansehen, wenn Serenissimus geruhen wollten, ihm zunächst ein kleines Bistum zu verleihen. Der Fürst muß mir geglaubt haben, denn er wurde alsbald sehr huldvoll. Mit der denkbar größten Einfalt sagte er zu mir:
›Das ist eine offizielle Angelegenheit zwischen mir und dem Erzbischof, die Sie gar nicht berührt. Der Biedermann hat mir einen sehr langen und ziemlich langweiligen Vortrag gehalten, der mit einem amtlichen Vorschlag schloß. Ich habe ihm sehr kühl geantwortet, daß der Betreffende reichlich jung sei und vor allem an meinem Hofe noch ein Neuling, so daß es fast aussähe, als bezahlte ich einen vom Kaiser auf mich ausgestellten Wechsel, wenn ich dem Sohne eines der Großwürdenträger seines lombardo-venezianischen Königreichs die Anwartschaft auf eine so hohe Stellung gewährte. Der Erzbischof beteuerte, es habe keinerlei derartige Empfehlung stattgefunden. Das mir zu sagen, war eine rechte Dummheit. Das hat mich an einem doch klugen Mann überrascht. Aber er gerät immer in Verlegenheit, wenn er mit mir spricht; und heute abend war er verlegener denn je, woraus ich schließe, daß ihm sein Wunsch gewaltig am Herzen liegt. Ich habe ihm erwidert, ich wisse besser als er, daß sich keine hohe Persönlichkeit zugunsten del Dongos verwendet habe, daß niemand an meinem Hofe an seiner Fähigkeit zweifle, daß sein Lebenswandel nicht allzu schlecht beurteilt werde; nur hielte ich ihn für leicht begeisterungsfähig, und ich hätte mir vorgenommen, Narren dieses Schlages, deren ein Fürst nie sicher ist, niemals in hohe Würden zu erheben. Nun‹, fuhr Serenissimus fort, ›mußte ich einen zweiten Schwall von Worten über mich ergehen lassen. Der Erzbischof pries die Begeisterung für das Reich Gottes. ›Tölpel,‹ sagte ich bei mir, ›du begehst
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