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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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ein dichtes, bewaldetes Gebiet, in dem das Laubdach das Licht aussperrte und nur wenig wachsen konnte. In der Nacht hatte es geregnet. Das Wasser tröpfelte von den Bäumen, alles war frisch und roch süßlich.
    »Wo müssen wir suchen?«, fragte Jude. »Ich fürchte, ich bin in diesen Dingen nicht sehr gut.«
    »Hier gibt es wahrscheinlich noch nichts. Aber dahinten, wo die Bäume nicht mehr so dicht stehen, könnten wir Glück haben«, erklärte Euan.
    »Manche Bäume sind bestimmt hundert Jahre alt«, sagte Jude. »Schau nur diese Eiche.« Der Baum hatte einen riesigen Umfang und war mehrfach gespalten, sodass es aussah, als würden drei Bäume eng zusammenstehen.
    »Und er produziert immer weiter kleine Eicheln«, sagte Euan und untersuchte einen belaubten Zweig. »Ich frage mich, wie viele neue Bäume er über die Jahre wohl hervorgebracht hat.«
    »Bestimmt Tausende.« Unter ihren Füßen lag Laub, das schon in zigfachen Lagen herabgefallen sein musste – mehrere Jahrhunderte Eichenblätter. »Es sieht alles so alt und geheimnisvoll aus«, sagte Jude. »Man kann sich regelrecht vorstellen, wie Robin Hood und seine Männer hier fröhlich gefeiert haben.«
    »Heute ist die Atmosphäre gut«, sagte Euan, »aber es kann auch anders sein. Denk nur an all die Märchen, in denen der Wald ein undurchdringliches und bedrohliches Labyrinth ist, in dem die Bäume ihre Zweige ausstrecken und den arglosen Reisenden packen wollen. Ein Dickicht, in dem fürchterliche Tiere hausen und sich kleine Mädchen und Jungs für immer verirren.«
    Jude zitterte. »Wie Schneewittchen oder die zwei Kindlein im Wald oder Hänsel und Gretel.«
    Märchen, die sie Summer vorgelesen hatte.
    Und wie es in dem Traum geschah, den sie immer träumte. Durch den Wald irren, auf der Flucht vor irgendeiner Gefahr ...
    »Der Wald war schon immer eine Metapher für das Wilde, das Urzeitliche«, sinnierte Euan. »Besonders für die Menschen in den Dörfern und Städten, vermute ich. Der Wald ist das Gegenteil von Zivilisation – die Heimat des Alten, Heidnischen und Grausamen, des Wilden Mannes.«
    »Das ist nicht der Grüne Mann, oder?«, fragte Jude. »Ich kann mich erinnern, dass du über den Grünen Mann in Spuren im Wald geschrieben hast. Er ist ein bisschen freundlicher, so eine Art heidnisches Fruchtbarkeitssymbol, stimmt’s?«
    »Ja, wie in der Werbung von Morris Men oder Real Ale.« Beide mussten über das volkstümliche Bild rustikaler Männerrunden lachen, das Euans Bemerkung heraufbeschwor. »Der Wilde Mann ist dunkler«, fuhr Euan fort, »elementarer.«
    Wenn sich der Baumbestand hin und wieder lichtete, blieb Euan stehen, um das Gras und die wild wachsenden Blumen zu untersuchen, die im Sonnenlicht aufblühten.
    Schließlich hatten sie die Stelle erreicht, wo der Baumbewuchs endete.
    »Heureka!«, rief er plötzlich. Gemeinsam untersuchten sie eine Pflanzengruppe, die wie violetter Spargel mitten aus dem hohen Gras aufragte. Euan bückte sich und teilte das Grün um die Pflanze, die am nächsten stand. »Die hier heißt Geflecktes Knabenkraut. Schau mal, dann weißt du, warum.« Jude ging in die Knie, um die Pflanze zu betrachten, die er zu ihr hinneigte. Wie sie sehen konnte, war der Stängel tatsächlich mit Dutzenden zarter Blüten besetzt, rosa- und malvenfarbenen, gesprenkelt mit dunklerem Violett.
    »Sogar die einzelnen Blüten sind ziemlich komplex«, sagte sie.
    »Wie zarte Tigerlilien, denke ich immer.« Er nahm einen Fotoapparat aus dem Rucksack und verbrachte mehrere Minuten damit, die Pflanzen zu fotografieren.
    »Ich würde gern eine Bienenragwurz finden«, sagte er und schaute sich um. »Aber auf diesem Boden werden wir wohl kein Glück haben. Man kann sie leicht erkennen. Sie sehen wirklich aus wie blassviolette Hummeln.«
    »Ich wünschte, ich hätte in der Schule besser aufgepasst«, sagte Jude. »Außer Eichen und Butterblumen und Gänseblümchen erkenne ich gar nichts. Ich habe nie Streifzüge durch die Natur gemacht, sondern meine Nase immer nur in die Bücher gesteckt.«
    »Darin warst du bestimmt besser als ich«, erwiderte Euan. »Ich konnte es immer kaum erwarten, nach der Schule nach Hause zu kommen und dann nach draußen zu verschwinden.«
    »Und jetzt schreibst du Bücher«, sagte Jude verwundert.
    »Ja. Meine früheren Lehrer sind bestimmt ziemlich erstaunt. Aber schließlich schreibe ich über Dinge, die mir etwas bedeuten. Und das fällt mir nicht schwer.«
    »Du schreibst mit Herzblut«, sagte Jude, und

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