Die Karte Des Himmels
die große, dicke, in Leder gebundene Ordner mit vergilbten Kopien enthielten. Sie fand den Band, der den Norwich Mercury von 1778 bis 1779 enthielt, und nahm ihn mit zu einem Tisch in der Nähe.
Jede Zeitung bestand nur aus ein paar Seiten, weshalb es nicht besonders aufwendig war, alles durchzusehen. Jude begann an Wickhams Todestag, verfolgte sorgfältig die Spalten, in denen gesellschaftliche Veranstaltungen der Aristokratie angekündigt wurden, Geburtstagsbälle und Jagden, dass ein Mann wegen Mordes an seinem Nachbarn gehängt werden sollte, und die Vorgänge im örtlichen Gericht, bis sie zu einer Stelle kam, in der Starbrough Hall erwähnt wurde. Es handelte sich um den Bericht einer gerichtlichen Untersuchung im Dorf Starbrough:
Gestern Abend wurde von dem Leichenbeschauer der Gemeinde Holt im Dorf die Untersuchung der Leiche von Mr. Titus Trotwood durchgeführt, der an jenem Morgen auf der obersten Plattform des Starbrough Folly, welcher zu den Ländereien von Starbrough Hall gehört und sich bis zu seinem Ableben in der vergangenen Woche im Besitz des Esq. Anthony Wickham befunden hatte, tot aufgefunden worden war. Mr. Trotwood, offensichtlich der Verwalter der Ländereien des Mr. Wickham, war seit der Nacht zuvor vermisst worden. Seine Witwe, Mrs. Jane Trotwood, gab an, er habe sich zu dem Turm begeben, um dort nach einem merkwürdigen Licht zu sehen, welches in der Nacht zuvor zu sehen gewesen sei. Mrs. Adolphus Pilkington, die Schwester des verstorbenen Mr. Wickham, welche gegenwärtig auf Starbrough Hall residiert, bestätigte, ihm einen solchen Auftrag erteilt zu haben, und erwähnte, dass eine junge Frau namens Esther Wickham, von manchen als Adoptivtochter Mr. Wickhams bezeichnet, verschwunden sei. Man nehme an, dass ihr Geist durch die Trauer sehr verwirrt sei. Wegen des kürzlichen heftigen Schneefalls kostete es den behandelnden Arzt Dr. Jonathan Brundall große Mühe, die Ursache des Todes zu ermitteln. Aber man geht davon aus, dass Mr. Trotwood an einer Kopfverletzung verstorben sei. Es ist möglich, dass er ausrutschte und dergestalt seinen Tod selbst herbeiführte. Der Verbleib der Esther Wickham bleibt ein Rätsel. Selbiges gilt für die Frage, wie Mr. Trotwood auf dem Dach des Turmes in Gefangenschaft geraten konnte, da die Falltür geschlossen war, obgleich nicht verschlossen, und so seine Flucht verhinderte. Mr. Trotwood wurde gerühmt, seine Pflichten als Landverweser stets treu und sorgfältig erfüllt zu haben. Es wurde zu den Akten genommen, dass die Todesursache unbekannt blieb.
Jude dachte angestrengt nach. Esther war also entkommen, genau wie sie geträumt hatte, aber Mr. Trotwood war gestorben. Der Bericht des Leichenbeschauers ließ die Frage offen, ob die Ereignisse miteinander verknüpft waren. Es schien allerdings wahrscheinlich. Sie war überzeugt, dass Mr. Trotwood abgestritten hätte, Esther in den Turm eingesperrt zu haben, und das klang durchaus glaubwürdig. Trotwood war ein direkter Mann, jemand, der gleich zur Tat schritt. Es passte nicht zu ihm, Esther einzuschließen und drei Tage und Nächte verstreichen zu lassen, bevor er das erste Mal nach ihr schaute. Nein, das war viel zu verschlagen und entsprach nicht dem Bild, das Jude sich von ihm gemacht hatte. Wenn er Esther hätte tot sehen wollen, hätte er sie umgehend aus dem Weg geräumt, genauso, wie er ein Kaninchen in der Schlinge beseitigt hätte oder Anthonys armen altersschwachen Windhund. Und überhaupt, warum sollte er ihren Tod gewollt haben? Es sei denn, Alicia hatte ihn dafür bezahlt, ihr unglückseliges Hindernis auf dem Weg zum Besitz von Starbrough Hall loszuwerden. Die Frage blieb: Wer hatte die Tür des Starbrough Folly verschlossen?
Jude durchsuchte die folgenden Ausgaben des Norwich Mercury , aber nichts von Bedeutung fiel ihr ins Auge.
Während sie auf die Fotokopie des Artikels wartete, kam ihr ein weiterer Gedanke. Esther war im Juli 1765 als sehr kleines Kind aufgefunden worden. Man hatte angenommen, dass sie etwa drei Jahre alt gewesen war. In diesem Zusammenhang waren zwei Fragen aufgetaucht, die sie bisher nicht zu beantworten versucht hatte. Erstens, warum hatte Anthony Wickham niemals versucht, herauszufinden, wer dieses Kind war und zu wem es gehörte? Laut Esthers Tagebuch hatte er gesagt, er wolle das nicht wissen. Vielleicht hatte er sie gleich auf den ersten Blick ins Herz geschlossen. Zweitens, hatte irgendjemand nach einem verlorenen Kind gesucht, insbesondere nach einem in
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