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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Zur Schlafenszeit stopfte ich warme Kleidung unter mein Kissen. Nachdem Susan die Kerze ausgeblasen hatte und ich hörte, wie ihr linker Stiefel quietschte, wie es immer war, wenn sie über den Korridor ging, stieg ich aus dem Bett und zog Kleid und Jacke an und spielte schweigend in der hereinbrechenden Dunkelheit mit meinen Puppen, bis das Haus zur Ruhe gekommen war. Dann zählte ich langsam bis sechzig, dreißig Mal, um ganz sicherzugehen. Als ich aus dem Zimmer schlüpfte, klickte die Tür hinter mir ins Schloss, und ich wartete ab, ob es auch wirklich niemand gehört hatte, bevor ich die Treppen hinuntersauste, durch die Küche und in die Milchkammer, wo ich mein Päckchen befreite und durch ein Fenster entschwand, welches ich heimlich entriegelt hatte. Den Hunden warf ich kleine Stücke Schinken zu, damit sie nicht bellten. Ich lauschte, wie sie danach schnüffelten, hörte die Ketten in der stillen Nachtluft klappern und hastete dann über den gepflasterten Hof hinaus in den Park, wo sich der Himmel vor mir ausbreitete und der Mond als schimmernde Sichel inmitten der Sterne prangte. Einen Moment lang blieb ich stehen und stellte mir vor, es wäre der gebogene Rücken eines träumenden Fisches in einem wundersamen Becken, das mit Lichtern gesprenkelt war.
    Wie versprochen, wartete Matt auf mich, im Graben versteckt. Wir durchquerten den großen Park und gingen den Weg hinauf durch den Wald und fühlten uns, als wären wir weit und breit die einzigen Menschen auf der Welt. Nach und nach gewöhnten sich unsere Augen an die Dunkelheit, und wir bewegten uns mit der gleichen Sicherheit wie die anderen Geschöpfe der Nacht. Matt kannte die Strecke, weil er seinen Vater über die Angelegenheit ausgefragt hatte, so klug, dass der keinen Verdacht schöpfte. »Ich hab so getan, als interessierten mich die Orchideen«, erklärte er.
    Zuerst war der Weg durch den Wald schmal und von dornigem Gestrüpp überwuchert, aber dann, als es lichter wurde – Buchen und Eichen und Kastanien –, kamen wir leichter voran. Gleichwohl wuchs meine böse Vorahnung. Mit jedem Schritt wurde meine Brust enger. Ich klammerte mich an Matts Arm und wusste nicht, woraus meine Angst entsprang.
    »Esther«, flüsterte er, »hör auf, du tust mir weh.«
    »Mir gefällt es hier nicht«, brachte ich mühsam hervor.
    »Es gibt nichts, wovor man Angst haben müsste.« Aber auch er klammerte sich an mir fest, und ich merkte, wie sehr ich ihn nervös machte. »Komm schon«, sagte er, und seine Stimme wandelte sich zu einem Quieken, »ich glaube, wir sind gleich da. Vater sagte ... oh!«
    Vor uns öffnete sich eine Lichtung, und in ihre Mitte fiel das Mondlicht auf etwas, was zuerst aussah wie ein riesiger Baum, der sich bis zum Himmel erstreckte, größer als alles, was ich je erblickt hatte. Aber es war der Turm: düster, fremd, von einer wilden Einsamkeit. Einen Moment lang konnten wir uns vor Staunen nicht rühren. Dann zog Matt mich am Arm, und wir traten aus dem Schutz der Bäume heraus.
    Als wir später darüber sprachen, wussten wir, dass es nur eine Fledermaus gewesen war, aber angesichts unseres Entsetzens, als das Ding aus der Dunkelheit über uns hervorstieß, hätte man meinen können, es wäre der Leibhaftige. Ich schrie auf und rannte blindlings davon. »Nein, Essie, nicht!«, hörte ich Matt noch rufen. Dann stolperte ich, stürzte schwer und stieß mir den Kopf. Minutenlang waren da nur Dunkelheit und Verwirrung, bis Matts Schrei zu mir durchdrang: »Wach auf! Da kommt jemand!«
    Ich hörte, wie eine Tür zuschlug, dann die Stimme eines Mannes – überrascht, zornig –, und Matt schrie: »Renn, Essie!«, obwohl ich dazu eindeutig nicht in der Lage war.
    Ich spürte die Hand, die mir sanft über das Haar strich, und hörte die Stimme, die ich als die meines Vaters kannte. »Gott verdammt, es ist das Kind.« Ich wagte mich nicht zu rühren, merkte aber, wie seine Finger an meinem Handgelenk nach dem Puls tasteten und wie er mich dann vorsichtig herumrollte, bis mein Kopf in seiner Armbeuge ruhte. Ich schlug die Augen auf, und schon bald rückte der schattige Umriss seiner Gestalt in mein Blickfeld. »Bist du verletzt?«, fragte er und musste mein gewispertes Nein gehört haben, denn er stellte mich vorsichtig auf die Füße. Aber in meinem Kopf pochte es, und ich schwankte. So stützte er mich, und nach kurzer Zeit fühlte ich mich besser.
    »Warum in Gottes Namen lassen sie dich mitten in der Nacht in der Gegend herumwandern?«, sagte

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