Die Karte Des Himmels
und ihr Mann William dort gelebt.«
»Das muss seltsam sein. Wenn die Familie deines Sohnes das Haus übernimmt, du aber immer noch dort wohnst.«
»Ja, ich stelle es mir auch seltsam vor. Mussten die vornehmen Witwen früher nicht in einen Witwensitz umziehen? Ich meine, in den schlechten alten Zeiten.«
»In einen Witwensitz? Weil sie Witwen waren?«
»Ja. Das fing schon bei der Mitgift an.« Zum Glück war von den alten Sitten, bei denen eine Frau nicht mehr wert war als das Geld und das Land, das sie in die Ehe mitgebracht hatte, nichts mehr übrig als nur diese Begriffe. »Aber es gibt keinen Witwensitz. Chantal hat mir erzählt, dass sie angeboten hat, sich eine Wohnung in der Stadt zu nehmen, aber davon wollten sie nichts wissen.« Sie dachte darüber nach, was das zu bedeuten hatte. Chantal war eine zauberhafte Person, aber sie war bestimmt daran gewöhnt, dass das Haus in einer ganz besonderen Weise eingerichtet und geführt wurde. Falls Alexia doch nicht so eine unkomplizierte und gelassene Schwiegertochter war, konnte es Schwierigkeiten geben.
Jude kam es so vor, als habe Alexia nicht viel an der Einrichtung geändert. Sie dachte an den Salon mit dem steifen Mobiliar, den Schwarz-Weiß-Fotografien der längst verstorbenen Familienmitglieder auf dem Klavier und an das Arbeitszimmer. Jemand, der nicht Alexias Feingefühl besaß, hätte vielleicht Innenarchitekten engagiert. Und Jude glaubte nicht, dass es nur um das fehlende Geld ging. Selbst die Kommode im Frühstückszimmer war immer noch mit Chantals Erinnerungen verknüpft, obwohl die moderne Pinnwand an der Wand daneben mit einem Wust aus Zetteln und Papieren einer viel beschäftigten jungen Familie übersät war: Einladungen zu Partys, Fahrpläne, digitale Schnappschüsse. Sie fragte sich, wie Alexia die Situation wohl empfand. Bisher hatte Jude nur wenig Gelegenheit gehabt, eigene Beobachtungen anzustellen.
Die Bestellung wurde gebracht, und ein paar Minuten lang konzentrierten sie sich aufs Essen. »Du hast mir eigentlich nie richtig erklärt, warum du nicht nach Frankreich gefahren bist. Du musst verrückt sein, dass du dir eine solche Chance entgehen lässt. Ich habe schon so lange nicht mehr Urlaub gemacht ... seit Ewigkeiten nicht.«
»Wir sollten mal zusammen wegfahren, wir drei, irgendwann«, sagte Jude spontan, »vielleicht Mum und Douglas in Spanien besuchen, wenn ihr Haus fertig ist.« Claire war offenbar nicht besonders wild darauf.
»Ich kann den Laden schlecht allein lassen, oder?«
»Wirklich nicht? Du und Linda, ihr habt doch eine Aushilfe.«
»Lola? Ja, sie ist in Ordnung. Und Jackie, eine der Mütter aus der Schule, hilft manchmal in der Woche mit den Bestellungen und der Verwaltung. Aber wir können es uns nicht leisten, jemanden in Vollzeit einzustellen, und Linda wird es ein bisschen zu viel, wenn ich mir freinehme, besonders in den Schulferien.«
»Linda hat keine Kinder, oder?«
»Nein. Aber ihr Vater und ihre Mutter sind schon ziemlich alt, und ihre Mutter hat Alzheimer.«
»Wenn du jemand fändest, der dich im Laden vertritt, würdest du mitfahren?«
»Vielleicht. Summer wäre wahrscheinlich begeistert.« Jude hörte heraus, dass das für Claire nicht galt. Und wenn sie es sich recht überlegte, wäre es tatsächlich schwierig für sie, sich für ein oder zwei Wochen mit ihrer Mutter zu arrangieren, selbst jetzt, wo die beiden besser miteinander zurechtkamen. Die Schwestern saßen sich einen Moment lang schweigend gegenüber. »Nun sag schon«, fuhr Claire dann fort, »warum bist du nicht mit diesem Caspar nach Frankreich gefahren? Ich dachte, du wärst scharf auf ihn.«
Sie will auf den Busch klopfen, dachte Jude plötzlich. Wenn ich noch mit Caspar zusammen wäre, könnte Claire mich ohne Bedenken mit Euan allein lassen. Jude konzentrierte sich darauf, Chutney auf ein Stückchen Käse zu häufen, und erinnerte sich daran, wie sehr es Claire aufgeregt hatte, dass Caspar sie nicht hatte sehen wollen. Solche Dinge ließen bei ihr die Alarmglocken schrillen. »Er ist der erste Mann seit Mark, mit dem ich richtig zusammen war, und ...« Sie sah auf ihren Teller hinunter, der Appetit war ihr vergangen. Plötzlich beschloss sie, sich ihrer Schwester anzuvertrauen. »Claire, ich habe mit ihm Schluss gemacht. Ich fürchte, ich kann gar nicht mehr mit jemandem zusammen sein. Ständig habe ich ihn mit Mark verglichen und wie es mit ihm gewesen ist. Und es gab nicht diese Nähe, die ich zu ihm empfunden habe. Ich war nicht
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