Die Kathedrale der Ketzerin
dürfen!«
»Fürwahr«, gab Theobald zurück, musterte Raimund finster und fragte
geradeheraus: »Ich soll also abreisen?«
»Es empfiehlt sich«, erwiderte Raimund knapp.
Der Graf von Champagne begriff. Seine eigenen Späher hatten ihn am
Morgen auf eine Truppenbewegung Richtung Castelsarrasin aufmerksam gemacht.
Der Graf von Toulouse plante also einen Angriff auf Humbert von
Beaujeu. Verweilte Theobald länger, würde er dem Cousin seiner Gemahlin Agnes
und dem Statthalter Blankas gegen Raimund zu Hilfe eilen müssen. Dazu verspürte
er nicht das geringste Bedürfnis.
»Die Königin wird demnächst weitere Truppen ins Languedoc
entsenden«, warnte er seinen Freund, als er den Brief einsteckte. »Dazu werde
ich ihr auch raten müssen. So leid es mir tut, aber deine Lage ist ziemlich
aussichtslos, Raimund.«
Es tut ihm wirklich leid, dachte Raimund, verbannte aber jede
Herzlichkeit aus seiner Stimme, als er sagte: »Wir müssen uns jetzt
verabschieden, mein Freund. Ich habe einen langen Tag vor mir, und du musst
deine Leute auf die Rückkehr vorbereiten.«
Theobald erhob sich.
Die beiden Männer standen einander einen Augenblick lang schweigend
gegenüber.
»Reitet nicht den gleichen Weg zurück«, empfahl Raimund schließlich,
»die weiter östlich gelegene Straße nach Norden bietet Ross und Reiter ein
erheblich schnelleres Vorankommen. Außerdem wird in den Herbergen am Wege
besserer Wein gereicht.«
Theobald unterdrückte ein Schmunzeln. Der Mann, den er in den
vergangenen Wochen so schätzen gelernt hatte, misstraute ihm immer noch.
Verdenken konnte er es ihm nicht. Theobald blieb schließlich der Feind, der
Angreifer aus dem Norden. Der jetzt auf seine Weise dem Grafen von Toulouse zu
erkennen gab, was er wusste, und damit völlig unbekümmert abermals sein
Königshaus verriet.
»Ich werde deinem Rat folgen, Raimund«, raunte er ihm zu. »Dir und
deinen Leuten wünsche ich viel Glück in Castelsarrasin.« Er staunte selbst
darüber, wie aufrichtig diese Worte gemeint waren.
Clara war überglücklich, zu Hause angekommen zu sein. Bei
ihrer Familie und bei ihren Leuten. In Toulouse brauchten sich die Katharer
nicht zu geheimen Versammlungsstätten fortzuschleichen, sondern konnten an
öffentlichen Orten gemeinsam beten und mussten weder Inquisitoren noch
Scheiterhaufen fürchten. Wenn Clara einer Perfecta auf der Straße begegnete,
konnte sie sich vor ihr unbekümmert auf die Knie werfen und sich auf
Okzitanisch das Melioramentum erteilen lassen.
»Du kannst deinen Glauben so ausüben, wie es dir genehm ist,
Schwester«, erklärte Raimund am Abend vor seinem letzten Gespräch mit Theobald,
als Clara ihn fragte, ob sie mit Alexander eine Messe aufsuchen dürfte. »Ich
verlange nur, dass du ihn Johanna nicht nahebringst. Sonst müsste ich dir den Umgang
mit meiner Tochter verbieten. Sie bleibt katholisch, wie ich auch.«
»Aber Rom hat dich exkommuniziert!«, fuhr Clara auf. »Der Papst
ist auch dein Feind!«
»Die Grafen von Toulouse werden je nach politischer Lage andauernd
aus der Kirche ausgeschlossen und wieder aufgenommen«, erwiderte Raimund
gleichmütig, »meinen Glauben berührt das jedoch in keiner Weise. Ich bin kein
Katharer; Jesus Christus ist mein Erlöser; ich glaube nicht daran, dass die
Welt des Teufels ist, und halte die Vorstellung, dass Seelen wandern können,
für unsinnig. Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches, und ich muss meine
Tochter vor eurem Irrglauben schützen. Der bereits genügend Unheil über die
Frauen unserer Familie wie auch über dich gebracht hat.«
»Meine Mutter«, sagte Clara atemlos, »erzähl mir von meiner
Mutter! Was weißt du über sie?«
Vielleicht würde er endlich reden! Seit dem Tag ihrer Ankunft in
Toulouse, als Raimund herausgerutscht war, dass sich ihre Mutter den Katharern
angeschlossen hatte, war jeglicher Versuch gescheitert, mit ihm darüber zu
reden. Wie ihr Vater Jahrzehnte zuvor weigerte sich jetzt Raimund, die Katharer
in der eigenen Familie zur Kenntnis zu nehmen.
»Sag, Bruder, wie ist sie zu den guten Menschen gekommen?«, hakte
Clara nach.
»Durch dich«, sagte Raimund, ohne lange zu überlegen. »Du kamst
todkrank auf die Welt, und niemand hielt dein Überleben für möglich. In ihrer
Verzweiflung wandte sich deine Mutter Ermine an eine heilkundige Katharerin.
Der gelang es, dich zu retten und Ermine davon zu überzeugen, sich von ihrem
sogenannten sündhaften Leben zu verabschieden und sich den Reinen zuzuwenden.
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