Die Kathedrale der Ketzerin
Herzen seiner Leute aufginge! Was in der trockenen Erde des
Südens nicht verdorrt, wird vom heißen Wind verweht, hoffte er und nahm rasch
Zuflucht zu verständlichen Worten: »Ausschließlich in dieser Angelegenheit
entbinde ich Euch der Gefolgschaft, denn ich kann nicht ermessen, ob Euch Gott
bereits alle Eure Sünden erlassen hat. Die vierzig Quarantänetage sind
jedenfalls verstrichen. Wer hier das Kreuz weiter zu tragen wünscht, kann
sterben oder reich werden. Mich reizt beides nicht. Ich werde noch heute Nacht
abreisen. Alle, die mich begleiten wollen, sollen sich also bereit machen.«
Er wandte sich ab.
Noch eine Sache verblieb ihm zu tun. Er hatte lange darüber
nachgedacht, ob er es tun sollte und wie er es tun könnte. Jetzt hatte er auf
beides eine Antwort. Sie war ihm plötzlich eingefallen, fast wie nebenbei in
die Gedanken über Freiheit, Ungebundenheit und verdorrte Saat hineingeraten.
Der König würde die Champagne nicht verwüsten. Und er sollte die Königin nie
wieder beminnen dürfen.
Der König musste sterben.
Niemand würde ihn, den Grafen der Champagne, damit in Verbindung
bringen, da er zum Zeitpunkt dieses Ereignisses bereits weit entfernt weilen
würde. Kein Verdacht würde auf ihm lasten. Ein bitteres Lächeln umspielte seine
Lippen. Auf die Treue unter Troubadouren war stets Verlass; wie gut, dass er kürzlich
lobende Worte für die recht kläglichen Verse des zweiten königlichen
Mundschenks gefunden hatte! Der würde nicht vergessen, dem König zu seinem
Namenstag am 25. Oktober einen ganz speziellen Tropfen aus der Champagne zu
reichen. Die für ihren Wein zwar nicht berühmt war, aber dem König würde dieses
Getränk, mit passenden Worten versehen, schon munden. Theobalds Aufbruch
verzögerte sich, da er die Vorschläge des poetischen Mundschenks zur Abwandlung
dieser Worte geduldig abwehren musste.
Ludwig setzte auf die Übermacht seines Heeres und befahl
am nächsten Morgen, die Brücke von Avignon mit so vielen Männern zu stürmen wie
nur möglich. Einem solchen Vorstoß würde auch das mächtige Tor der Stadt nicht
standhalten können. Doch unter dem Andrang brach die von den Belagerten bereits
angesägte Brücke ein. Mehr als dreitausend Kreuzfahrer ertranken in den Fluten
der Rhône, und es war nichts gewonnen.
Zu dem Zeitpunkt, als vor den verschlossenen Toren Avignons die
Toten beklagt wurden, schlug Theobald kurz vor Montpellier mit allen seinen
Männern das Nachtlager auf. Keiner hatte sich der Wahl, reich zu werden oder zu
sterben, zu stellen gewagt, und niemand hatte gar erwogen, die Treue zum
Königshaus über die Treue zum eigenen Lehnsherrn zu stellen. Der Graf von
Champagne empfand es als sehr beruhigend, sich auf seine Schar verlassen zu
können, und zieh sich der unverzeihlichen Sünde, ihr eine solche Entscheidung
zugemutet zu haben. Er verfasste ein Gedicht, in dem ein Wolf den Lämmern die
Entscheidung abverlangt, aus der Herde ein Tier zu erwählen, das ihm zur
Nahrung dienen soll.
Lammbraten wäre ihm in der Tat sehr willkommen gewesen, doch es gab
nur eine karge Mahlzeit aus getrocknetem Rindfleisch. Danach zog Theobald
Blankas Brief an Clara aus seinem Wams und wog ihn in der Hand. Dem König hatte
er die Gefolgschaft aufgekündigt. Das war aber noch lange kein Grund, Gleiches
gegenüber der Königin zu tun. Brach er das Siegel auf, würde er sich auch ihr
gegenüber schuldig machen. Andererseits – der Brief musste eine wichtige
Nachricht enthalten, die möglicherweise ihn selbst betraf. Nichts von Belang
durfte in dieser Lage vor ihm geheim gehalten werden. Schließlich begab er sich
in Lebensgefahr, wenn er seine schützende Hand über eine Häretikerin hielt.
Verständnislos schüttelte er den Kopf. Wie konnte es sein, dass sich
dieses Mädchen, das er fast sein ganzes Leben lang kannte, das er aus der Hölle
von Marmande gerettet, das sich ihm in der
Krönungsnacht so willig hingegeben hatte, den Ketzern zugewandt hatte?
Er dachte an Etiennes Worte, stieß einen tiefen Seufzer aus und brach mit einem
Ruck, ohne weiteres Nachdenken, das silberne Siegel der Königin.
Seine Augen weiteten sich, als er den kurzen Brief las. Was für eine
mutige Frau, welch eine edle Königin, die sich für das Schicksal einer Hofdame
selbst in Gefahr zu bringen gedachte! Von was für einem Gelübde sprach sie?
Wer begleitete sie, und wie sollte es ihr gelingen, sich unbemerkt vom Hof zu
entfernen? Theobald war entzückt. Welch ein ausgemachter
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