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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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geworden sein mussten.
    Doch trotz der sengenden Sommerhitze und der Seuchen, die unter den
Zehntausenden von Belagerern vor den Toren Avignons ausgebrochen waren, ging
sein Plan nicht auf. Ludwig war wild entschlossen, die Stadt zu erobern. Schon
um seine Mannen endlich wieder mit der dringend benötigten Nahrung zu
versorgen. Die seit zwei Monaten belagerte Stadt litt keinen Mangel, da die
reichen Bürger in weiser Voraussicht noch vor Ludwigs Eintreffen im Juni
riesige Vorräte eingelagert hatten.
    Der päpstliche Legat hatte sich geirrt. Die südlichen Länder
einzunehmen erwies sich als überhaupt keine Kleinigkeit. Dabei hatte alles so
gut angefangen und sich dieser Kreuzzug in den ersten beiden Monaten
außerordentlich angenehm gestaltet.
    Ohne Zwischenfälle war der König mit seinem riesigen Heer das
fruchtbare Rhônetal hinuntergezogen und hatte sich überall huldigen lassen.
Seine Kreuzritter fanden dabei reichlich Gelegenheit, sich um ihr Seelenheil zu
kümmern. Sie erschlugen alle, die sie der Häresie verdächtigten, spürten
kleinen schwarz gekleideten Reisegruppen hinterher und bezahlten Kinder und Greise, die ihnen Häuser und
Versammlungsstätten der Ketzer verrieten.
    Da es schnell nach Süden vorangehen sollte, blieb nicht immer
ausreichend Zeit, die Verdächtigen der vom Papst geforderten Befragung zu
unterziehen, sie nach Bedarf auch zu foltern und erst danach ordentlich einem
Scheiterhaufen zu übergeben. Dies wurde von einigen der geistlichen Führer
beklagt, aber auch König Ludwig hatte es eilig, den Feldzug erfolgreich und
ohne unnötiges Blutvergießen unter seinen neuen Untertanen abzuschließen.
    Das Gerücht vom Herannahen des französischen Königs reichte schon,
um viele der Vasallen Raimunds zu einem panischen Übertritt zu bewegen. Mit
Grauen erinnerten sie sich an das frühere Schicksal solcher Städte wie Béziers
und Marmande; Abgesandte des längst wieder aufgebauten Béziers gehörten zu den
Allerersten, die dem König eilig entgegenritten, um ihm die gänzliche
Unterwerfung ihrer Bürger zu melden. Da sie vermuteten, dass das Haus Toulouse
gegen die französische Übermacht keinesfalls mehr zu retten sei, die eigene
Haut hingegen gerade noch, traten zahlreiche okzitanische Adlige und Städte
unter den Schutz der Kirche und des französischen Königs.
    Ludwig war hoch zufrieden, als ihm in Montélimar nicht nur Vertreter
der besonders stark befestigten Stadt Carcassonne, sondern sogar Abgeordnete
aus Avignon gemeldet wurden; immerhin eine enorm reiche und mächtige Stadt. Die
zudem besonders eng mit Graf Raimund verbündet war. Dem König wurde für Avignon
freier Durchzug zugesichert.
    Doch als er Anfang Juni vor der Stadt ankam, fand er die Tore
entgegen der Zusage fest verschlossen und alle Bastionen, vor allem die beiden
riesigen Türme Quiquenparle und Quiquengrogne, mit wehrhaften Männern besetzt,
darunter, wie er später erfahren sollte, sogar mit bezahlten Waffenknechten aus
Flandern und Brabant.
    Die Stadt hielt in Treue fest zu Raimund von Toulouse, der ihren
Bürgern auf seinem Grund und Boden niemals Wegegeld abverlangt, sie stets
unterstützt und durch seine wirtschaftlichen Verbindungen ins Ausland
wohlhabend gemacht hatte.
    Keiner von Ludwigs Heerführern sah eine Möglichkeit, in das schwer
befestigte Avignon einzufallen. Klagend richteten sich die Franzosen auf eine
Belagerung ein. Doch der seltsame Umstand, dass nach zwei Monaten eher die
Belagerer als die Belagerten dem Hungertod zum Opfer fallen könnten, zwang den
König zum Handeln. Als ihm nun auch noch die Kunde von weiteren verwüsteten
Feldern zugetragen wurde, warf er das blonde Haar, das inzwischen wahrlich an
eine Löwenmähne gemahnte, in den Nacken und rief in die Runde: »Morgen
stürmen wir die Stadt, koste es, was es wolle!«
    Graf Theobald von Champagne wagte zu widersprechen: »Herr König«,
meldete er sich, »Avignon ist derzeit uneinnehmbar.
Unsere Männer sind durch Hunger, Durst und Krankheiten geschwächt.
Verzeiht mir den Vorschlag, aber wir sollten aufgeben. Weiterziehen. Und später
gestärkt nach Avignon zurückkehren.«
    Er wusste, wovon er sprach. Wenige Tage zuvor hatte er sich mit
seinem alten Freund getroffen, dem nicht nur im Süden einst hoch gefeierten
Troubadour Etienne. Der Sänger, der sich wie so viele seines Fachs schon vor
Jahren öffentlich auf die Seite der Katharer gestellt hatte, war unter
Lebensgefahr aus der belagerten Stadt geschlichen, um den von ihm so

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