Die Kathedrale der Ketzerin
antun.
Lobt und preist meinen Herrn,
und dankt und dient ihm mit großer Demut.
Tränen rannen ihr über die Wangen. Welche Gnade, den
großen Mann anhören zu dürfen, der da drinnen nicht mit dem Tode rang, sondern
ihn als Bruder begrüßte. Wie klein sie selbst doch war und wie nichtig.
Sie zuckte zusammen. Irgendetwas hatte sie in die Rippen gestoßen.
Sie blickte auf. Ein Mann fasste sich entschuldigend an die Brust und deutete
auf die roh gezimmerte Trage, die ein anderer Mann ungeschickt durch den
Eingang des Hauses schob.
»Es geht zu Ende. Wir bringen ihn jetzt nach Portiuncula zu der
Kirche, die er aufgebaut hat. Dort wünscht er zu sterben.«
»Maria von den Engeln«, murmelte Blanka. Später hätte sie nicht
sagen können, wo die italienischen Worte herkamen, die sie jetzt laut
aussprach: »… nehmt nicht Gold, noch Silber, noch Geld in Euren Gürteln mit,
auch keine Tasche, noch zwei Röcke, noch Schuhe noch einen Stab …«
Der Mann verneigte sich vor ihr, als sei sie die Königin, die sie
auch war, aber mit der sie in diesem Augenblick nichts zu tun hatte.
»Schwester«, flüsterte er. »Mögt Ihr uns begleiten?«
»Keine Ehre ist größer«, flüsterte sie zurück und sank wieder auf
die Knie.
Es waren viele Menschen um sie, als das Holzgerüst wieder aus dem
Haus getragen wurde. Doch Blanka gab nur auf den ausgemergelten kleinen Mann
mit dem fürchterlich entstellten Gesicht acht. Er hob eine schmale Hand und segnete
mit seinen noch immer wohlgeformten Fingern jene, die er nicht mehr sehen
konnte.
»Viele Getreue sind jetzt um dich«, sagte der Mann, der sich bei
Blanka entschuldigt hatte.
»Seltsam«, antwortete Franz, »ich bedarf nicht einmal der Augen, um
sie alle zu erkennen. Ich danke Euch, meine Freunde, meine Brüder und
Schwestern, Gott segne und beschütze euch.«
Lautes Schluchzen ertönte.
»Nicht doch«, beschwichtigte er. »Trauert nicht. Freut Euch, dass
ich jetzt an jenen Ort zurückkehre, an dem es kein Leiden und keinen Schmerz
mehr gibt. Gott und seine Engel erwarten mich. Verzeih meinen Freunden, Bruder
Tod, die dich fürchten, weil sie deine erhabene Botschaft noch nicht kennen.«
»Amen!«, erklang eine sanfte weibliche Stimme, die Blanka
augenblicklich ihrer Entrückung entriss. Sie hob den Kopf und blickte über die
Trage hinweg in das Gesicht dieser Frau, die den Punkt hinter den Satz des
Franz von Assisi gesetzt hatte. Neben der eine weitere vertraute Figur stand.
Das kann nicht sein, wie kommen meine beiden Kinder hierher? Aber das sind
sie ja nicht. Es sind Clara und Theobald. Auch das ist gänzlich unmöglich!
Gott, hilf mir! Sehe ich etwa Gespenster? Bin ich jetzt dem Wahnsinn nah?
Geht mein Leben jetzt an mir vorbei? Sie fasste sich an den Kopf. Ihr
schwindelte.
»Vorsicht, die Frau fällt um!«, rief jemand.
»Diese Frau«, sagte Franz von Assisi, »ist meine Schwester. Sie wird
sich wieder aufrichten und stärker denn je zuvor sein. Nicht nur für sich,
sondern vor allem für jene, die sie liebt und denen sie dient. Das ist ihr
Wesen; das ist ihre Zukunft.«
Ganz so schnell sollte sich diese Prophezeiung nicht erfüllen.
Blanka sah sich außerstande, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen. Sie
setzte sich auf die Türschwelle des Bischofshauses und blickte dem Zug
hinterher, der Franz von Assisi zu der Stelle geleitete, an der er sterben
wollte.
Neben ihr ließen sich zwei Menschen nieder. Es mochten Stunden
vergangen sein, ehe das erste Wort fiel.
»Wo kommt ihr her?«, fragte Blanka tonlos.
»Übers Meer«, erwiderte Theobald. Clara schwieg.
Blanka sah ihrer Freundin ins Gesicht und erschrak. Hager geworden
und um Jahre gealtert, schien Clara nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein.
Die fröhlichen Funken in ihren hellgrauen Augen waren erloschen. Eine Aura
tiefster Trauer umgab sie.
»Was ist dir widerfahren?«, fragte Blanka leise.
Theobald erhob sich und sagte fast ebenso tonlos: »Eine lange und
furchtbare Geschichte, geliebte Herrin. Unsere alte Clara gibt es nicht mehr.«
Ohne sich umzusehen, kehrte er zu den zehn Männern zurück, die
zusammen mit ihm und Clara in Montpellier an Bord jenes Schiffes gegangen
waren, das sie nach Italien gebracht hatte.
Es war eine unpassende Zeit, Blankas Bewunderung einzufordern. Die
würde sie zweifellos äußern, wenn sie erfuhr, wie er nicht nur Clara im
Languedoc, sondern sogar die unerkannt reisende Königin in Assisi aufgespürt
hatte.
Über die schrecklichen Ereignisse sollte Clara
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