Die Kathedrale der Ketzerin
Herdfeuers ein Mann erkennbar, der mit einer Drehleier im Arm auf einem
Tisch stand und sang. Fetzen der Musik drangen nach draußen.
»Mein Lied!«, rief Theobald entzückt und ritt näher. »Der Bursche
dort trägt doch tatsächlich meine Nachtigallenverse vor!« Laut sang er mit:»Dein Wald verlangt nach Nachtigallen und schwerer Süße auf den Wegen, der wir
schon, halb verwirrt, verfallen …« Er brach ab. Auf seiner Stirn begann eine
Ader zu pochen. »Oh, verfluchter Stümper, welch ein elendiger Missklang!
Geliebte Herrin, lasst mich hineingehen und den Mann vom Tisch werfen! Er
verhunzt meine Kunst!«
Ohne eine Genehmigung abzuwarten, sprang er vom Pferd und stürzte in
die Herberge.
Blanka wandte sich an Clara.
»Gehört Eitelkeit eigentlich zu den Todsünden?«, fragte sie
beißend.
Clara zuckte mit den Schultern und stieg schweigend von ihrem Pferd.
»Ich denke, du kennst dich mit so
etwas aus!«, giftete Blanka, während sie ebenfalls aus dem Sattel
glitt. »Ach nein, ich hatte es ganz vergessen: Für euch ist ja das Leben an
sich eine Sünde und eine Angelegenheit, die man am besten schnell hinter sich
lässt. Warum bringt ihr euch dann nicht alle selbst um? Das würde der Welt
eine Menge Ärger ersparen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, die Clara ohnehin nicht gegeben
hätte, ging Blanka entschieden auf die Tür der Herberge zu. Die Musik war
plötzlich abgebrochen.
Auf der Schwelle prallte Blanka mit Theobald zusammen, der, wie vom
Teufel gejagt, mit hochrotem Kopf wieder hinausgestürzt war.
Er entschuldigte sich nicht, sondern packte die Königin fest am Arm.
»Fort«, stieß er hervor und versuchte die widerstrebende Frau mit
sich zu ziehen, »gefährliches Lumpenpack dort drinnen. Wir reiten
augenblicklich zum Kloster weiter! Eilt Euch!«
Dann geschah alles sehr schnell. Eine Horde brüllender Männer
stürzte aus der Tür. Ruppig stießen sie Blanka in den Staub, griffen sich den
Grafen von Champagne und zerrten ihn unter Flüchen zurück in die Herberge.
Theobalds Männer ließen von ihren Pferden ab und rannten hinterher.
»Haltet unsere Tiere!«, rief einer den Frauen und den beiden alten
Männern aus Blankas Gefolge zu; dann knallte die wuchtige Holztür hinter der
Schar zu.
»Lumpenpack«, wiederholte Clara
tonlos, während sie Blanka auf die Beine half. »Wie recht er doch hat. Das sind
Kreuzritter.«
Blanka starrte Clara fassungslos an. »Bist du sicher?«
In der Geschwindigkeit, mit der alles geschehen war, hatte sie
nichts und niemanden erkennen können.
Clara nickte. »Glaube mir, Blanka, solche Leute kann ich schon fast
riechen.«
»Was wollen sie von Theobald?«
»Ihn zum Singen zwingen?«, schlug Clara grimmig vor. Sie mühte
sich, Ruhe zu bewahren, doch das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Ungeheures Getöse drang aus der Herberge. Die Pferde davor wurden so
unruhig, dass die beiden alten Männer große Mühe hatten, sie an den Pfählen
festzubinden.
Drinnen schepperte es gewaltig. Krachende Geräusche, als würden
Tische und Bänke umgeworfen, dämpften vereinzeltes Waffengeklirr und wurden von
lautem Geschrei überlagert. Ein einziges Wort war deutlich vernehmbar:
»Verräter!« Durch die schmale Fensterluke war nur ein Gewoge von Leibern
auszumachen.
»Wir müssen da hinein«, entschied Blanka.
»Ja, wenn die Prügelei vorbei ist«, erwiderte Clara.
Die Stunde der Wahrheit war angebrochen. Jetzt würde sie erfahren,
was sich Theobald hatte zuschulden kommen lassen. Hat er sich etwa meinetwegen vom königlichen Heer abgesetzt,
fragte sie sich, hat er meinetwegen Hochverrat begangen? Und dadurch den Tod
der Katharer von Carcassonne, den Felizians, herbeigeführt? Sie fasste sich
an den Kopf.
»Bist du verletzt?«, fragte Blanka beunruhigt.
»Mich haben sie gar nicht angerührt«, gab Clara zurück und hätte
trotz der angespannten Lage beinahe gelacht. Nicht ein einziges Mal war ihr
eingefallen, dass man sie als Katharerin hätte erkennen, belangen und töten
können. Wie auch, dachte sie, als sie an sich hinabschaute. Der Staub der
Straße hatte ihr verräterisches schwarzes Kleid braun gefärbt.
Blanka, die ihrem Blick gefolgt war, griff sich an das Kreuz, das
über ihrem eigenen Gewand hing.
»Du solltest auch ein Kreuz tragen«, sagte sie besorgt. »Du bist
doch, trotz allem, eine Christin. Weshalb widerstrebt dir das erhabenste
Zeichen unserer Religion?«
»Würdest du den Strick anbeten, mit dem dein Vater erhängt wurde,
das Beil, das deinem
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