Die Kathedrale der Ketzerin
Bruder den Kopf abgeschlagen, das Messer, das die Kehle
deines Kindes durchschnitten hat?«, fragte Clara ungehalten zurück.
Sie wollte jetzt nicht über ihren Glauben reden; sie musste
unbedingt erfahren, weshalb die alten Mitstreiter Theobalds den Grafen von
Champagne wie einen Schwerverbrecher angegriffen hatten.
Wartend blieben Clara und Blanka vor der Tür stehen.
»Geht nicht hinein, Herrin«, brachte einer der beiden alten Männer
mühsam hervor. Er ging gebückt und hielt sich die Seite. Ein Pferd hatte ihn in
die Rippen getreten. Der andere Mann war von einem Tier gegen einen Pfahl
gedrückt worden und blutete leicht am Kopf.
»Wir müssen schon deshalb hinein, damit ihr ordentlich versorgt
werden könnt«, sagte Blanka. »So können wir nicht weiterreiten.«
Aus der Herberge drang ein letztes mächtiges Gerumpel, dann war
Stille.
Clara öffnete vorsichtig die Tür, spähte hinein und nickte Blanka
zu. Mit den beiden Männern hinter sich betraten die Frauen das Gasthaus. Wie
erwartet, bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Das Sägemehl auf dem Boden
war von Scherben und Speiseresten übersät, und jeder von Theobalds Männern
wurde von mindestens einem Fremden in Schach gehalten. An den meisten
Gesichtern der etwa dreißig Männer, die sich in dem rauchigen Gastraum
drängten, klebte Blut, aber niemand schien ernstlich zu Schaden gekommen zu
sein. Nur ein Tisch, nämlich der in der Mitte des Raumes, berührte noch mit
allen Beinen den Boden. Auf diesem Tisch saß Theobald, flankiert von zwei
fremden Männern. Vor ihnen stand ein rotgesichtiger Hüne, der offensichtlich
gerade zu einer Rede angesetzt hatte.
Blanka holte Luft. Clara stieß sie sanft in die Rippen. »Nicht!«,
flüsterte sie alarmiert. Aber Blanka war nicht zu halten.
»Was geht hier vor?«, fragte sie mit ihrer Königinnenstimme.
Alle Köpfe wandten sich den Neuankömmlingen zu, zwei schönen Frauen
und zwei alten Männern.
»Gehört die zu Euch?«, wandte sich der Hüne an Theobald. Der
nickte unglücklich.
»Eine hochgestellte Dame aus der Champagne auf Pilgerfahrt«,
murmelte er. »Sie steht unter meinem Schutz.«
»Ein feiner Schutz«, bemerkte der Mann, schob ein paar Männer zur
Seite und trat auf Blanka zu. Sie zuckte mit keiner Wimper, als er ihr Kinn
anhob. »Und den edlen Gesichtszügen nach zu urteilen wahrlich eine feine Dame.
Noch.« Er lachte höhnisch. »Ich empfehle ihr, sich an das Pilgergewand zu
gewöhnen, denn hat unser geliebter König Ludwig erst die Champagne verwüstet,
wird sie fortan in Lumpen umhergehen müssen.«
»Wovon redet Ihr?«, fragte Blanka bestürzt.
»Von diesem Verräter!«,
erwiderte der Mann, trat zurück und hieb mit der Faust auf Theobalds rechte
Schulter. »Von diesem Feigling, der den König in Avignon im Stich ließ, sich
von ihm abwandte, als unser Herr ihn und seine Leute so dringend benötigte!
König Ludwig hat ihn verflucht und geschworen, nach dem Kreuzzug die
Champagne dem Erdboden gleichzumachen.«
Blanka war kalkweiß geworden. Theobald hielt die Lider gesenkt.
»Was bringt er zu seiner Verteidigung hervor?«, fragte Blanka mit
gepresster Stimme.
»Fragt ihn doch selbst, edle Dame!«, gab der Hüne zurück und
forderte die im Weg stehenden Männer auf, Platz zu machen, damit die Pilgerin
ein Durchkommen hatte.
»Sprecht!«, fuhr Blanka Theobald an. Sie zitterte am ganzen Leib.
»Was hat Euch dazu gebracht, Euren Herrn, den König, zu verlassen?«
Theobald murmelte etwas.
»Lauter!«
Jetzt hob er die Lider, sah Blanka geradewegs in die Augen und
erklärte laut und vernehmlich: »Ein Auftrag der Königin.«
Diese Frechheit verschlug Blanka zunächst die Sprache. Clara drängte
sich zu ihrer Freundin nach vorn und zupfte sie am Kleid.
»Lass sein!«, zischte sie, doch Blanka schüttelte sie ab und fuhr
Theobald an: »Was fällt Euch ein, Graf, niemals habe ich Euch einen solchen
Auftrag erteilt!«
Ihre nächsten Worte gingen in Pfeifen und Grölen unter. Der Hüne hob
die Hand.
»Ruhe!«, rief er, wandte sich an Blanka und bemerkte höhnisch:
»Eine Königin seid Ihr also, so, so, ich nehme an, die Königin seines Herzens?«
Blanka richtete sich zu voller Größe auf, sah majestätisch in die
Runde und verkündete: »Ich bin Blanka von Kastilien, die Königin von
Frankreich!«
Die Männer des Grafen von Champagne beugten die Häupter, in
Ehrfurcht und voller Erleichterung, nicht mehr so tun zu müssen, als wüssten
sie nicht, wer sie in den vergangenen Tagen
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