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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Lebenden zurückgefunden. Clara ließ den Kanzler wissen, die Königin
befehle dem gesamten Rat, sich während der abendlichen Rast bei ihr
einzufinden, um die Einzelheiten zur Bestattung ihres Gemahls und der Krönung
des jungen Ludwig zu regeln.
    Und den Küchenmeister forderte sie auf, sofort ein Tablett mit
ausgesuchten Köstlichkeiten in den königlichen Reisewagen zu bringen.
    Zur Mittagsstunde zügelte Theobald vor einer Wegkrümmung
sein Ross, wandte sich zu seinen Männern um, hob eine Hand und legte einen
Finger auf die Lippen. Augenblicklich kamen alle zum Stillstand. Hufgetrappel
und Stimmen, darunter weibliche, näherten sich. Mit den Lanzen in Bereitschaft
stellten sich die Männer des Grafen von Champagne hinter ihm in
Dreiecksformation auf.
    Zwischen zwei Rittern in des Königs Farben tauchten drei bunt
gewandete Frauen auf. Theobald glaubte zu träumen.
    »Hurra, es ist die Königin!«, rief einer seiner Getreuen und ließ die Lanze sinken. Jubelnd folgten die anderen
Mannen seinem Beispiel.
    Theobald schüttelte den Kopf. Das ist nicht Blanka, das ist ein
obszönes Gleichnis, schoss ihm durch den Kopf, als er mit grimmigem Gesicht auf
die Gruppe zuritt.
    »Wer seid Ihr?«, fuhr er die Frau in der Mitte an. Die
minderwertige Kopie der Königin neigte so hoheitsvoll den Kopf, dass er ihn ihr
am liebsten abgeschlagen hätte.
    »Eure schlechten Manieren verraten mir, dass Ihr der Graf von
Champagne sein müsst«, kam eine ihm völlig fremde Stimme in der
unverwechselbaren Diktion der Königin aus einem Mund, der dem Blankas
nachgezeichnet schien.
    »Wo ist die Frau Königin?«
    »Bei ihrem Zug in Sicherheit«, antwortete Lisette, die sich
angesichts des erzürnten Gesichts wieder bang zu fragen begann, wie es wohl um
ihre eigene Sicherheit bestellt war. »Sie lässt
Euch herzlich grüßen«, improvisierte sie hastig in ihrer eigenen
Sprechweise, »und bittet Euch, uns das Geleit zu geben.«
    »Geleit«, höhnte Theobald, »wohin, wenn ich fragen darf?«
    »In die Champagne, wo wir Euch dienen werden«, mischte sich einer
der Ritter ein.
    Lisette schwieg. Aus dem zunächst so fabelhaft angenehmen und höchst
einträglichen Geschäft des königlichen Ebenbilds war mittlerweile eine
lebensgefährliche Angelegenheit geworden. Sie, selbst Teil einer höfischen
Intrige, vertraute niemandem mehr. Sie wusste nicht, wohin und an wen sie sich
in Zukunft wenden konnte, nur, dass sie niemals mehr an den Königshof zurückkehren
würde. Eine unbestimmte Sehnsucht nach ihrem Mann stieg in ihr auf. Aber wie
sollte sie ihn je wiederfinden können?
    Misstrauisch musterte Theobald die
beiden ihm unbekannten Ritter. Der Rest der kleinen Gruppe bestand
zumeist aus Frauen niederen Standes, die den fünf Reitenden zu Fuß folgten.
    »Was hat Euch die edle Frau Königin des Weiteren mitgeteilt?«,
fragte er beißend.
    »Nur, dass sie uns bei Euch in Sicherheit weiß«, brachte Lisette
schüchtern hervor. Sie glitt aus dem Sattel, trat an Theobalds Pferd, ergriff
den Saum der Decke und führte ihn an ihre Lippen.
    »Erbarmt Euch unser, Herr. Wie
auch Ihr haben wir der Königin stets gedient und folgen nur getreulich
ihren Anweisungen.«
    Er beugte sich herab, hob Lisettes Kinn an und sah ihr genauer ins
Gesicht. Matte braune Augen, keine Spur von Bronze. Ihn konnte man nicht
täuschen; sogar von Weitem hatte er die Frau als Trugbild entlarvt. Blanka war
einzigartig. Wer sich von dieser Larve in die Irre führen ließ, verdiente
nicht, das Antlitz der edlen Frau zu schauen.
    »Als Stellvertreterin«, murmelte er, endlich alles begreifend.
Lisette senkte beschämt den Kopf und nickte erleichtert.
    »Und was soll ich mit euch in der Champagne machen?«, fragte er.
    »Haben wir erst Euer Gebiet erreicht, braucht Ihr Euch nicht weiter
um uns zu bekümmern«, versicherte Lisette hastig. Sie durfte nicht zu viel auf
einmal von dem Mann fordern, der die Schönheit der Königin so leidenschaftlich
besang. Die gleiche Schönheit, über die auch sie selbst verfügte und die sie in
ihre jetzige Lage gebracht hatte. Und die jetzt ihre Rettung sein konnte. Am
Pariser Hof würde sie nie wieder die Königin mimen, doch für den Grafen von
Champagne wollte sie zur Rettung der eigenen Haut die Rolle der Blanka gänzlich
ausfüllen.
    »Wie geht es unserem Herrn, dem König?«, fragte Theobald wie
nebenbei.
    »Gut, vermute ich«, erwiderte Lisette zerstreut. »Wir hatten sein
Lager noch nicht erreicht, als die Frau Königin zu uns

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