Die Katze die Brahms spielte
Tage und verregneten Nächte hatten bei den Pflanzen auf dem eigentlichen Friedhof Wunder bewirkt. Er entdeckte die bösartigen Gewächse mit den dreizackigen Blättern an den kleinen Grabsteinen und dachte daran, wie er sie beiseitegeschoben hatte, um die Inschriften zu lesen. Dann folgte er dem schwach erkennbaren Fußpfad hinter das Campbell-Grabmahl.
Die Mülltonne war noch immer mit Unkraut und Gräsern getarnt, und sie war noch immer leer. Aber sie war für irgendeinen Zweck benutzt worden. Am Boden der Tonne lagen Strohhalme, und der Griff auf dem Deckel, den Quilleran in einem rechten Winkel zum Grabstein aufgesetzt hatte, stand jetzt schräg.
Qwilleran hielt sich nicht auf. Er fuhr schnell zurück in die Hütte, um vor Rosemary zurück zu sein. Der Geruch der faulenden Fische, der immer stechender wurde, verstärkte seine bedrückte Stimmung noch. Rosemary hingegen kam beschwingt und übersprudelnd vor Begeisterung nach Hause, im Arm einen Riesenstrauß gelbe, weiße, rosa, rote und violettschwarze Tulpen.
»Die Gefängnisgärten sind wunderbar«, sagte sie. »Du mußt sie dir mal ansehen, Qwill, Liebster. Diese Blumen hat mir ein ganz reizender Mann dort mit nach Hause gegeben. Wie viele Seiten hast du heute geschrieben?«
»Ich zähle niemals nach«, sagte Qwilleran.
»Es ist ein tolles neues Gefängnis. Eine sehr freundliche Dame vor dem Eingangstor hat mich eingeladen, dem Verein >Frauen helfen Gefangenen< beizutreten. Sie schreiben den Häftlingen Briefe und schicken ihnen kleine Geschenke.«
»Hast du irgendwelche Gerüchte über den Mord gehört?«
»Kein Wort! Hast du Vasen für die Tulpen? Im Auto sind ein paar Sachen für das Abendessen. Ich habe frischen Fisch und wunderbaren Pastinak und Rosenkohl eingekauft – und ein paar Karotten für die Kätzchen. Du solltest ihnen jeden Tag eine geriebene Karotte unter das Futter mischen.«
Rosenkohl! Pastinak! Qwilleran hatte an ein 180-GrammSteak mit Pommes frites und Ketchup gedacht, an frische Brötchen und Salat mit Roquefort-Dressing, ein großes Stück Apfelkuchen mit Cheddar-Käse und drei Tassen Kaffee.
»Kann man den Fisch aufheben?« fragte er. »Ich möchte dich gerne zum Abendessen ins Northern Lights Hotel einladen. Ich war heute nicht produktiv, und ich brauche Tapetenwechsel.«
»Aber natürlich! Das klingt wunderbar«, sagte Rosemary. »Kann ich vorher noch eine Stunde am Strand Spazierengehen?«
»Es wird dir nicht gefallen. Der Strand ist übersät mit toten Fischen.«
»Das macht mir nichts aus«, sagte sie. »Das ist Teil der Natur.«
Rosemary stellte einen Limonadenkrug mit Tulpen auf den Kaminsims, eine Mehldose mit Tulpen auf den Eßtisch und einen Eiskübel mit Tulpen auf die Theke. Dann stolperte sie glücklich den Hang hinunter zum Strand.
Qwilleran streckte sich auf einem der Sofas aus. »Koko, ich komme mir vor wie ein Idiot«, sagte er zu dem Kater, der auf der Sofalehne saß und ihn aufmerksam ansah. »Ich habe nicht einen einzigen Hinweis. Was haben wir denn schon? Eine Leiche im See, den Mord an einem pensionierten Polizisten und eine Nachricht auf einer Tonbandkassette. Irgend jemand benutzt diese Hütte hier für irgendeinen illegalen Zweck. Mich interessiert gar nicht, wer. Wir wissen ja nicht mal, was vorgeht.«
»Yau!« machte Koko und blinzelte mit seinen großen blauen Augen.
Qwilleran holte die Kassette aus der Kommodenlade und spielte nochmals Little White Lies. Die Stimme ertönte: » . . . mehr von dem Zeug heranschaffen . . . müssen uns ein paar Änderungen überlegen . . . es wird langsam heiß . . . nach dem Abendessen am Bootshafen.« Die Stimme war hoch und nasal, der Tonfall ausdruckslos.
Ich habe diese Stimme schon mal gehört«, sagte Qwilleran zu Koko, doch der Kater spielte mit seinem Catnip-Socken. »Es wurde heiß, weil ihnen Buck mit seinen Nachforschungen auf die Spur kam. Änderungen waren notwendig, weil die Hütte nicht mehr als Depot zur Verfügung stand.«
Diese Stimme! Diese Stimme! Er hatte sie auf dem Postamt gehört, oder im FOO, oder im Haushaltswarengeschäft, oder im Hotelrestaurant.
Nein! Plötzlich war es Qwilleran klar. Die Stimme auf der Kassette war die Stimme, die er im Nebel gehört hatte, als zwei Männer auf einem anderen Boot miteinander stritten. Eine Stimme war tief gewesen und hatte einen britischen Akzent gehabt. Der andere Mann hatte durchdringend nasal und monoton gesprochen. Er erinnerte sich, daß irgend etwas mit dem Motor passiert war, und sie hatten sich offenbar
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