Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman
Tag. Ganz Moose County hatte ihm von der Reise abgeraten, und er war fest entschlossen, von Anfang bis zum Ende zu beweisen, daß sie unrecht hatten. Er fühlte sich blendend, wie er sich immer wieder vorsagte.
Am zweiten Tag ihrer Fahrt änderte sich die Landschaft: die Wälder und die weiten Felder und Bauernhöfe wurden von Reklametafeln, Tankstellen, Autofriedhöfen und kleinen Geschäften abgelöst; dann kamen langgezogene Einkaufszentren und Wohnsiedlungen mit wohlklingenden Namen und schließlich die Autobahn. Der dichte Verkehr und die höhere Geschwindigkeit machte die Passagiere auf dem Rücksitz stutzig. Sie hoben die Nasen, um die Schadstoffkonzentration in der Luft zu prüfen, und Yum Yum beschwerte sich bitter. Bei Qwilleran löste der Anblick der geschwungenen Autobahnkreuze, der Jets, die zur Landung ansetzten und der hoch aufragenden Skyline der Stadt ein urbanes Hochgefühl aus, das er von früher kannte und inzwischen beinahe vergessen hatte. Selbst die blaue Pflaume wirkte in der smogverhangenen Atmosphäre weniger abstoßend.
An der ›Zwinger‹-Ausfahrt fuhr er von der Autobahn ab. Am späten Sonntagnachmittag war die Innenstadt praktisch menschenleer. Die Zwinger Street, einst eine heruntergekommene Gegend, hieß jetzt Zwinger Boulevard und war ein von Landschaftsgärtnern gestalteter Park, aus dem sich Glastürme, Parkhäuser und Apartmentanlagen erhoben. Dann wurde der Boulevard schmaler und führte in das hundert Jahre alte Viertel, das als Junktown bekannt war und vor dem wie eine Schildwache das Casablanca aufragte.
»O nein!« sagte Qwilleran laut. »Das sieht ja aus wie ein Kühlschrank!« Das Casablanca war tatsächlich weiß, wenn es auch einer Reinigung bedurfte, und hatte die Proportionen eines Kühlschranks mit einer quer über die Fassade laufenden dunklen Linie in Höhe des neunten Stocks, so als begänne hier das Tiefkühlfach. Modifizierter maurischer Stil, hatte RUCK das genannt. Es stimmte schon, es gab ein paar Bögen und ein Vordach und zwei große, dekorative Laternen spanischer Machart, aber insgesamt sah es aus wie ein Kühlschrank. 1901, als Kühlschränke aus heller Eiche waren, war das vielleicht nicht so gewesen, aber jetzt...
Qwilleran machte eine Kehrtwendung und fuhr an den Straßenrand, wo man zwanzig Minuten parken durfte. Er holte den Tragekorb und die Bratpfanne aus dem Auto, sperrte vorsorglich alle vier Türen ab und ging dann zu dem schäbigen Eingang. Das Glas an den beiden Laternen war zerbrochen, so daß man die Glühbirnen sah, und die Seitenfenster an der Tür waren mit Sperrholz vernagelt, das zu streichen sich niemand die Mühe gemacht hatte. Vorsichtig ging er über die zersprungenen Marmorstufen hinauf, stellte den Katzenkorb ab, öffnete die schwere schwarze Tür und hielt sie mit dem Fuß auf, während er sich mit dem Korb in die dunkle Vorhalle zwängte.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte eine Stimme aus der Dunkelheit. Ein Jogger wollte gerade das Gebäude verlassen.
»Wie läute ich nach der Verwalterin?« erkundigte sich Qwilleran.
»Gleich hier.« Ein junger Mann mit einem rötlichen Schnurrbart, der beinahe so imposant wie der von Qwilleran war, drückte auf einen Knopf auf der Tafel mit den Wohnungsnummern. »Ziehen Sie ein?«
»Ja. Wo laufen Sie hier?«
»Um das freie Gelände hinter dem Haus. Zweimal rundherum ist eine Meile – und nicht zuviel Kohlenmonoxyd.«
»Ist es ungefährlich?«
Der Mann hielt ein kleines Rohr hoch und richtete es gegen Qwilleran. »Zack!« sagte er und machte ein selbstzufriedenes Gesicht. »He, schöne Katzen haben Sie da!« fügte er hinzu und spähte in den Tragekorb. Als schließlich aus der Gegensprechanlage eine krächzende Stimme ertönte, schrie der zuvorkommende Jogger: »Ein neuer Mieter, Mrs. Tuttle.« Mit einem Summen wurde die Tür aufgeriegelt, und er sprang hin, um sie zu öffnen. »Das Büro ist geradeaus den Gang hinunter, gegenüber dem zweiten Aufzug.«
»Danke sehr. Viel Spaß beim Laufen!« wünschte ihm Qwilleran. Die Innentür fiel hinter ihm ins Schloß, und er stand in einer leeren Eingangshalle.
Sie war schmaler, als er erwartet hatte – ein tunnelähnlicher Gang mit niedriger Decke, in dem es nach Desinfektionsmittel roch. Die Neonröhren waren in zu großen Abständen angebracht, als daß sie den Gang gut beleuchtet hätten. Der Vinylfußboden war abgetreten, aber sauber, und die Tapeten an den Wänden sahen aus wie Sandpapier. Als er zum ersten Aufzug kam, blieb er
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