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Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman

Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman

Titel: Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Jackson Braun
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sich – abgesehen von einem neuen Parkplatz – nicht geändert hatten. Sie war vierzigmal so groß wie die Bücherei von Pickax, und er fragte sich, ob Polly Duncan sie schon mal gesehen hatte. Er vermutete, er dachte öfter an sie als sie an ihn. Was würde sie zu den Aufzügen im Casablanca sagen? Zu den Mietern? Zu der in den Boden eingelassenen Sitzecke? Zu den Pilzbildern? Zu den goldenen Wasserhähnen? Zum Wasserbett? Er bezweifelte, daß sie objektiv genug war, Geschmack an einem Gebäude zu finden, das aussah wie ein Kühlschrank.
    In der Bücherei sah er die Sammlung von Werken über die lokale Geschichte durch und stellte erfreut fest, daß es jede Menge Material über das Casablanca während jener Zeit gab, da auf dem Zwinger Boulevard Pferdekutschen fuhren – und später Stanley Steamers und Columbus Electrics. Auf sepiafarbenen oder schwarzweißen Fotos waren Präsidenten, Finanzgenies und Theatergrößen abgebildet, die auf den Eingangsstufen des Gebäudes standen oder mit Hilfe eines Türstehers in Uniform aus einem Duesenberg stiegen oder im Palmenpavillon auf dem Dach speisten. Man sah Frauen in hautengen Satinröcken und Pelzen in Begleitung von Männern in Theatermänteln und Zylindern, die zu einem Wohltätigkeitsball aufbrachen. Im grasbewachsenen Park neben dem Gebäude waren Scharen von Kindermädchen mit Babys in Kinderwagen unterwegs, und viel zu fein angezogene Kinder spielten Federball. Es gab sogar ein Foto von dem etwas klein geratenen Swimmingpool mit Männern in Badeanzügen mit langen Hosenbeinen.
    Was Qwilleran am meisten interessierte, waren die Bilder von Harrison Plumb mit seinem kleinen Schnurrbart, wahrscheinlich ein Andenken an seine Zeit in Paris. Manchmal war er zusammen mit seinem Freund Grinchman zu sehen, oft mit Honoratioren, die die Stadt besuchten, und häufig mit seiner Frau und den drei Kindern – die Jungen in Kniehosen und die kleine Adelaide mit einem mit Blumen dekorierten Hut, unter dem ihre Ringellöckchen hervorquollen. Auf späteren Fotos posierten Adelaide und ihr Vater in einem Stutz Bearcat oder an einem Teetisch auf der Terrasse. Qwilleran dachte daran, daß einmal jemand gesagt hatte, die Persönlichkeiten der früheren Bewohner und vergangene Ereignisse würden auf die Ziegel und Steine und das Holz eines alten Gebäudes einwirken und ihm eine besondere Ausstrahlung verleihen. Wenn das stimmte, dann war das die Erklärung für den Zauber des Casablanca, den Lowell zu beschreiben versucht hatte.
    Nachdem er sich zwei Stunden lang in die beschauliche, elegante Vergangenheit vertieft hatte, konnte Qwilleran den vorbeibrausenden Verkehr nur schwer verkraften. Er marschierte rasch nach Hause, weil ein kalter Wind wehte und der Zwinger Boulevard mit seinen hohen Gebäuden wie ein Windkanal wirkte. Der Verfasser der Gourmet-Spalte des Fluxion hatte die Straße den ›Schlemmer-Boulevard‹ genannt, und tatsächlich zählte Qwilleran ein Dutzend Spezialitätenrestaurants, die man in Moose County vergeblich suchte: es gab polynesische, mexikanische, japanische und ungarische Lokale, Restaurants mit Spezialitäten aus Setschuan und dem Nahen Osten, um nur ein paar wenige zu nennen. Er beabsichtigte, sie alle auszuprobieren. Er wünschte, Polly wäre dabei.
    Der Tag war zu Ende, und die Bewohner des Casablanca kehrten per Auto, Bus oder Taxi zurück nach Hause. Qwilleran, der als einziger zu Fuß kam, sah auf den Parkplatz, in der Hoffnung, daß sein Abstellplatz vielleicht frei wäre, doch jetzt stand eine Klapperkiste Baujahr 1975 auf Nummer 28.
    Als er sich der kunterbunten Menschenmenge anschloß, die durch die Eingangstür strömte, grüßte ihn ein Mann mit einem rötlichen Schnurrbart. »Hallo! Sind Sie eingezogen?«
    »Ja, ich gehöre jetzt auch zum illustren Kreis der Glücklichen«, bekannte Qwilleran.
    »Welches Stockwerk?«
    »Vierzehntes.«
    »Ist das Dach noch immer undicht?«
    »Das weiß ich erst, wenn es regnet, aber sie haben es angeblich gestern reparieren lassen.«
    »Sie müssen Beziehungen haben. Sonst wird hier nie etwas repariert.« Er lief vor, um den Aufzug zu erwischen, und erst jetzt wurde Qwilleran klar, daß dies der freundliche Jogger war, der ihm bei seiner Ankunft am Sonntagnachmittag geholfen hatte.
    In der Eingangshalle drängten sich Arbeiter in Overalls, die Sechserpackungen Bier trugen, ausgelassene Studenten mit Taschen voller Bücher, Karriere-Frauen mit Aktentaschen und ältere Bewohner mit Gehstöcken und bandagierten

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