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Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman

Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman

Titel: Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Jackson Braun
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dreizehnte war, begrüßte er total benommen die Katzen: »Ihr würdet nicht glauben, was ich gerade gesehen habe!«
    »Yau!« sagte Koko und erhob sich auf die Hinterbeine.
    »Tut mir leid. Heute gibt’s keine Kostproben. Wie ist die Temperatur? Etwas besser? Ich entschuldige mich für die Sauna. Was würdet ihr beide davon halten, wenn wir ein wenig lesen?«
    Dankbar zog er die Straßenkleidung aus und schlüpfte in seine Pyjamahose. Qwilleran wollte ein weiteres Kapitel von Eothen von Kinglake lesen. Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber den Katzen schienen die Geschichten mit den Kamelen, Ziegen und Lasttieren zu gefallen. Sie hörten immer mit zuckenden Ohren und gesträubten Schnurrhaaren zu. Es war irgendwie unheimlich.
    Also marschierten sie alle drei in die Bibliothek. Koko als erster – mit hoch erhobenem Schwanz, der an einen Fahnenmast erinnerte, gefolgt von Yum Yum, die elegant und zierlich einen Fuß vor den anderen setzte. Genau wie das Mädchen in der Eingangshalle, dachte Qwilleran. Er selbst bildete in seinem roten Pyjama, den ihm Polly im letzten Februar zum Valentinstag geschenkt hatte, die Nachhut.
    Die Bibliothek war der angenehmste Raum in der Wohnung: Regale mit Kunstbänden und Bilder an den Wänden erzeugten eine freundliche Atmosphäre. Die modernen Möbel waren aus Teakholz und Chrom und von namhaften Designern entworfen, deren Namen Qwilleran vergessen hatte. Er ließ sich in einen einladenden Sessel fallen und schlug Kapitel zehn auf, während sich Yum Yum auf seinem Schoß dreimal im Kreis drehte, sich niederließ und das Kinn auf die Pfote legte. Koko hatte sich gerade in der Haltung des aufmerksamen Zuhörers hingesetzt, als irgendwo ein leises Geräusch ertönte, worauf beide Katzen aufsprangen und in den Vorraum stürzten. Qwilleran folgte ihnen und sah, daß Koko unter der Tür scharrte. Ein Umschlag war darunter durchgeschoben worden.
    Es stand kein Name darauf, doch drinnen steckte ein Blatt Papier bester Qualität, auf dem ein W eingeprägt war, und eine unsichere Hand hatte darauf geschrieben:
›Willkommen im Casablanca. Kommen Sie doch mal auf einen Drink zu mir – jederzeit.‹
     
    Unterschrieben war es mit Isabelle Wilburton, Wohnung zehn-F. Das war die Frau, die ihren Stutzflügel verkaufen wollte.
    Qwilleran knurrte in seinen Schnurrbart und warf das Blatt in den Papierkorb, wobei er darauf achtete, es nicht zu zerknüllen. Zerknülltes Papier wirkte auf Yum Yum wie Katzenminze, und sie würde es binnen drei Sekunden herausgeangelt haben. Sein ganzes Leben hatte er jedes Blatt Papier zusammengeknüllt, bevor er es wegwarf, doch diese Zeit war unwiderruflich vorbei. Erstaunlich, dachte er, wie man sich an das Leben mit Katzen anpaßt. Hätte ihm vor ein paar Jahren irgendwer etwas Derartiges prophezeit, er hätte ihn für verrückt gehalten.
    In die Bibliothek zurückgekehrt, wandte er sich wieder Kapitel zehn zu, doch ein leises Beben an seiner Oberlippe veranlaßte ihn, das Buch hinzulegen. Er fuhr sich mit der Hand über den Schnurrbart, als wollte er das beunruhigende Gefühl besänftigen. »Bleiben wir doch ein wenig hier sitzen und denken wir ein bißchen nach«, sagte er zu den wartenden. Zuhörern. »Wir sind jetzt seit achtundvierzig Stunden hier, und ich spüre irgendwelche Schwingungen.«
    Daß in dieser Wohnung jemand ermordet worden war, machte Qwilleran keine Sorgen; es war Kokos Interesse an dem Ereignis, das seine Aufmerksamkeit erregte. Der Kater wußte einfach alles! Zuerst fand er den Blutfleck unter einem schweren Möbelstück, und dann fand er ein goldenes Armband, das zwischen den Sofapolstern steckte. Koko hatte einen sechsten Sinn für die finstere Wahrheit, die unter der Oberfläche verborgen war.
    Nachdem Qwilleran die Berichte in der Zeitung gelesen hatte, hegte er selbst Zweifel am Motiv des ›netten, stillen jungen Mannes‹, der seine Wohltäterin brutal ermordet hatte, seine ›beste Freundin‹, der er ein Armband geschenkt hatte, in dem ein persönlicher Code eingraviert war. Vielleicht hatte Ross wirklich der Galerie die Schuld daran gegeben, daß sich seine Bilder nicht verkauften, doch das war wohl kaum ein Grund, jemanden zu ermorden. Diese matte Auskunft hatte der Fluxion von Todd erhalten, dem Mann mit der nervösen Angewohnheit, sich die Nase zuzuhalten. Was das wohl zu bedeuten hatte?
    Die Neuigkeit, daß Di Bessinger als Erbin des Casablanca eingesetzt war, erregte Qwillerans Argwohn. Sie hatte viele mächtige Gegner.

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