Die Katze, die hoch hinaus wollte: Roman
Qwilleran, dann hätte die Verwaltung bis Montag gewartet.
Wie er versprochen hatte, verbrachte er den Sonntag mit den Katzen. Als erstes striegelte er sie mit einer neuen Bürste mit Gummiborsten, die er in einer Tierhandlung entdeckt hatte. Dann las er ihnen aus Eothen vor, und Yum Yum schlief während des Kapitels über die Pest in Kairo auf seinem Schoß ein. Um die Mittagszeit schnallte er Koko das Laufgeschirr um und machte mit ihm einen Spaziergang – hinaus aus der Wohnung, durch den Vorraum und die Tür mit der Aufschrift ›Zutritt verboten‹, zwei Treppen hinauf und hinaus auf das Dach. Koko marschierte mit zackigen Schritten und senkrecht erhobenem Schwanz.
Auf dem Dach war es traumhaft. Man hatte einen phantastischen Blick auf die Silhouette der Hochhäuser in der Innenstadt und den Fluß, der sich nach Süden wand. Der Kater schnupperte begierig die frische Brise und zog an der Leine; er wollte an den Rand des Daches. Qwilleran hatte etwas anderes im Sinn – er zog Koko zum Dachfenster und spähte hinunter in die Penthaus-Wohnung. Das Glas war zwar schon blind vor Alter, doch einige Scheiben waren in letzter Zeit ersetzt worden, und man konnte das lange Sofa sehen, die großen Bilder und einige der Bäume in den Töpfen. In der Nacht, wenn die Galerie erleuchtet war, konnte jeder, der auf dem Dach war, hinunterschauen und sehen, was in der Sitzecke vor sich ging.
Qwilleran dachte: Was wäre, wenn...? Was wäre, wenn jemand vom Dach aus den Mord an Di Bessinger beobachtet hatte und die wahre Identität des Mörders kannte? Warum behielt er die Information für sich? Weil er um sein eigenes Leben fürchtete, oder weil er eine Gelegenheit für Erpressung sah? Doch so etwas passierte in Kriminalromanen, nicht im wirklichen Leben.
Das Dachfenster interessierte Koko nicht; er spazierte lieber über die niedrige Brüstung am Rand des Daches. Sie machten miteinander einen Rundgang um das gesamte Dach, bevor sie hinuntergingen, um sich ihrer nächsten Tätigkeit zu widmen – Scrabble.
Kaum hatten sie zu spielen begonnen, da läutete das Telefon. Qwilleran hoffte, es möge Winnie Wingfoot sein; er hatte so ein Gefühl, daß sie ihre kurze Bekanntschaft, die am Vorabend begonnen hatte, vertiefen würde. Statt dessen war es die enttäuschende, dünne Stimme von Charlotte Roop.
»Sind Sie sehr beschäftigt, Mr. Qwilleran? Ich hoffe, ich störe Sie nicht bei irgend etwas.«
»Ich habe gerade daran gedacht, einen Spaziergang zu machen«, sagte er, »aber es ist schon okay.«
»Glauben Sie, ich könnte ein bißchen später mal hinaufkommen und mir Ihre wunderschönen Kätzchen ansehen, wenn es nicht zu viele Umstände macht?«
Als sie in der River Road wohnten, hatte sie keinerlei Interesse an den Katzen gezeigt. »Klar«, sagte er ohne große Begeisterung. »Wann würde es Ihnen denn passen?«
»Nun, ich muß um vier im Restaurant sein, und wenn ich um zirka halb vier hinaufginge...«
»Das ist gut«, sagte er und dachte, daß sie dann nicht lange bleiben könnte. »Ich erwarte Sie also um halb vier. Ich bin auf vierzehn-A.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich meinen Freund mitbringe?«
»Natürlich nicht.« Was konnte er sonst sagen?
Zu Koko meinte er: »Deine alte Freundin Charlotte schaut um halb vier vorbei. Versuch dich wie ein Gentleman zu benehmen.« Während ihrer früheren Bekanntschaft, die nur kurz gewesen war, hatte der Kater alles Erdenkliche unternommen, um die Frau zu schockieren und in Verlegenheit zu bringen. Charlotte war damals leicht zu schockieren und in Verlegenheit zu bringen gewesen.
Sie kehrten zu ihrem Scrabble-Spiel zurück. Koko hatte eine Vorliebe für den Buchstaben O, und Qwilleran setzte Worte wie MOOR, FOTO, DOOF und KOHORTE zusammen, als das Telefon erneut läutete. Diesmal war er sicher, daß es Winnie Wingfoot war, doch es war Isabelle Wilburton, und sie war betrunken.
»Was tun Sie gerade?« fragte sie mit schläfriger Stimme.
»Ich sitze an meinem Schreibtisch und arbeite«, sagte er kühl.
»Kann ich... raufkommen?«
»Ich fürchte, das ist der falsche Zeitpunkt für einen Besuch. Ich konzentriere mich gerade auf ein Problem.«
»Woll’n Sie runterkommen?«
»Ich habe Ihnen gerade gesagt, Miss Wilburton, daß ich äußerst beschäftigt bin und im Augenblick nicht von meiner Arbeit weg kann«, sagte er mit einem ungeduldigen Unterton.
»Warum sagen Sie nicht Isabelle zu mir?«
»Schön, Isabelle. Wie ich schon sagte, ich kann meine Arbeit jetzt nicht
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