Die Katze
kennengelernt habe. Vor meiner Verurteilung, als ich noch bei den normalen Häftlingen untergebracht war.«
»Das ist aber nicht der Eindruck, den Sie erweckt haben.«
»Ich wollte Ihnen nur ein allgemeines Bild vermitteln.«
»Also haben Sie gelogen.«
»Nein. Es war keine Lüge. Ich habe mir nur ein wenig ›dichterische Freiheit‹ genommen. Ist das der richtige Ausdruck?«
»Dann ist Folgendes wohl auch ein Beispiel für ›dichterische Freiheit‹? › Männer und Frauen sind getrennt untergebracht, obwohl wir manchmal Gelegenheiten finden zusammenzukommen. Hinter den Bücherregalen einer Gefängnisbücherei wird beispielsweise sehr viel mehr gemacht als nur gelesen. ‹ Haben Sie gedacht, ich würde nicht herauskriegen, dass Pembroke Correctional ein reines Frauengefängnis ist?«
»Es gibt auch Männer hier«, verteidigte sich Jill. »Vielleicht keine Gefangenen, aber …«
»Vollzugsbeamte, Wachen, Arbeiter«, beendete Charley den Satz für sie. »Ich weiß.«
»Ich hatte Angst, in meinem Brief noch konkreter zu werden, weil … man weiß nie, wer die Post möglicherweise öffnet und liest.«
»Sie haben also alle munter Sex in der Gefängnisbibliothek, zu der Sie keinen Zugang haben, weil Sie Ihre Zelle nur zum Duschen und zum Sport verlassen dürfen.«
Die feine Röte kehrte auf Jills aschfahle Wangen zurück. »Ich hatte Zugang zur Bibliothek, bevor ich in den Todestrakt verlegt wurde. Ich habe Sachen gesehen, die Sie nicht glauben würden.«
»Warum sollte ich irgendetwas glauben, das Sie mir erzählen?«
»Sie sind wütend auf mich«, sagte Jill mit brechender Stimme. »Ich habe Sie enttäuscht.«
»Sie sind mir zu gleichgültig, um mich enttäuschen zu können«, sagte Charley bewusst gemein, woraus sie allerdings weniger Befriedigung zog als erwartet.
»Sie haben recht«, sagte Jill, und Tränen kullerten über ihre Wangen. »Ich habe weder Ihr Interesse noch Ihre Zeit verdient. Ich bin bloß ein dummes Mädchen, das sich hat bedrängen lassen,
einen Haufen furchtbarer Dinge zu tun. Ich habe verdient, was immer mit mir geschieht.«
»Wer hat Sie bedrängt?« Die Frage war über Charleys Lippen, bevor sie sich bremsen konnte.
Jill schüttelte den Kopf. »Darüber kann ich jetzt nicht sprechen?«
»Wann denn?«
»Erst wenn Sie meine ganze Geschichte gehört haben.«
»Und daran hat Miss Webb, wie sie sehr deutlich gemacht hat, kein Interesse«, sagte Alex und war schon halb aufgestanden.
»Moment mal«, sagte Charley, »das habe ich nicht gesagt.«
»Also sind Sie interessiert?«, fragte Jill hoffnungsvoll.
Das musste Charley zugeben. »Aber das heißt nicht, dass ich mit von der Partie bin«, fügte sie eilig hinzu.
»Was kann ich tun, um Sie zu überzeugen?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Haben Sie meine Akten und die Prozessprotokolle bekommen?«, unterbrach Alex.
»Ja, danke, dass Sie sie mir so schnell zugeschickt haben.«
»Haben Sie sie gelesen?«
»Ich habe sie überflogen.«
»Das heißt, Sie haben sie nicht gelesen«, stellte er fest.
»Nein, ich habe sie nicht gelesen.«
»Dann könnte man die Behauptung, Sie hätten ›sie überflogen‹, wohl als ›dichterische Freiheit‹ bezeichnen?«, fragte er und zog eine Braue hoch.
Charley musste unwillkürlich lächeln. »Ich hatte sehr viel zu tun, und Ihre Akten sind sehr …«
»Gründlich?«
»Ermüdend«, verbesserte Charley ihn.
Jill lachte laut. Es war ein breites, ausgelassenes Lachen, das ihr ganzes Gesicht mit einbezog. »Ertappt, Alex.«
»Ja, allerdings.«
»Deswegen wusste ich auch, dass Sie die Richtige für diese Aufgabe sind«, erklärte Jill Charley.
»Inwiefern?«
»Sie haben vor niemandem Angst«, erläuterte sie. »Wenn es sein muss, bieten Sie jedem die Stirn, sogar Alex.« Sie lachte erneut. »Und mir lassen Sie auch nichts durchgehen. Sie stellen die harten Fragen, die richtigen Fragen. Sie werden es schaffen, die ganze Wahrheit aus mir herauszubringen. Sie werden mich bei Widersprüchen ertappen, genau wie bei meinem Brief.«
Charley fühlte sich wider Willen geschmeichelt. Sie drückt auf all die richtigen Knöpfe , hörte sie Glen sagen. Sie appelliert sowohl an Ihr Ego als auch an Ihre Neugier . Sie räusperte sich. »Weitere Widersprüche darf es nicht geben .«
»Bestimmt nicht. Ich verspreche es.«
»Was machen Sie, wenn ich Nein sage?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wohin werden Sie sich wenden? Mit wem werden Sie als Nächstes Kontakt aufnehmen?«
»Mit niemandem«,
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