Die Katze
mädchenhaft. »Tut mir leid.«
»Das muss dir nicht leid tun«, sagte Alex rasch. »Wir haben bloß nicht sehr viel Zeit zur Verfügung, und die willst du doch bestimmt nicht verschwenden.«
»Tut mir leid«, sagte Jill noch einmal.
»Was genau wollen Sie von mir?«, entschied Charley sich, ohne Umschweife zur Sache zu kommen.
Jill hob den Blick und starrte Charley direkt an. »Wie ich in meinem Brief gesagt habe. Ich will, dass Sie ein Buch über mich schreiben.«
»Und warum sollte ich das wollen?«
»Weil Sie eine tolle Autorin sind«, antwortete Jill sofort. »Und große Autoren sind doch immer auf der Suche nach großen Themen, oder nicht?«
»Und das große Thema wären Sie?«
»Ich weiß nur, dass ich eine Geschichte zu erzählen habe.«
»Etwas konkreter müssen Sie schon werden.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Mörder sind an und für sich noch nicht unbedingt interessant«, erklärte Charley kategorisch.
»Wollen Sie damit sagen, dass ich eine Mörderin bin?«
»Wollen Sie sagen, dass Sie keine sind?«
»Ich sage nur, dass es vieles gibt, was Sie nicht wissen.«
»Ich weiß, dass Sie vor Gericht angeklagt und für schuldig befunden worden sind.«
»Weil die Geschworenen nie die ganze Geschichte gehört haben.«
»Warum haben Sie sie ihnen nicht erzählt?«
Jill wand sich auf ihrem Stuhl und blickte zur Decke. »Ich konnte nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich konnte es einfach nicht.«
»Warum nicht?«, wiederholte Charley. »Wollten Sie jemanden schützen?«
»Nein.«
»Haben Sie Angst vor jemandem?«
In Jills Blick flackerte kurz ein Zögern auf. »Jetzt nicht mehr«, sagte sie dann.
»Wollen Sie sagen, dass noch jemand an den Taten beteiligt war?«
Jill drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, als wollte sie sich vergewissern, dass niemand lauschte. »Vielleicht«, flüsterte sie so leise, dass Charley sich dabei ertappte, sich auf ihrem Stuhl vorzubeugen, und selbst dann war sie sich nicht sicher, ob sie Jill richtig verstanden hatte.
»Vielleicht? Heißt das Ja?«
Jill nickte langsam.
»Und warum erzählen Sie das mir und nicht dem Distriktsstaatsanwalt?«
»Den Distriktsstaatsanwalt interessiert das nicht. Er hat schon eine Verurteilung.«
»Und Sie sind bereit, mir zu erzählen, wer diese Person ist?«
Wieder nickte Jill. »Ich erzähle Ihnen alles. Ich will, dass die Menschen die Wahrheit erfahren.«
»Und die wäre?«
»Ich bin nicht das Monster, für das die Leute mich halten.«
»Was für ein Monster sind Sie denn?«, fragte Charley spitz.
Tränen schossen in Jills Augen.
Charley wandte sich ab und unterdrückte den Impuls, sich zu entschuldigen. Auf Tränen war sie nicht gefasst gewesen. Genauso wenig, wie sie erwartet hatte, für eine verurteilte Mörderin dreier unschuldiger Kinder etwas anderes als Verachtung zu empfinden. »Warum ich?«, fragte Charley.
»Weil ich Sie bewundere. Weil ich Sie mag. Weil ich glaube, dass ich Ihnen vertrauen kann.«
»Ah, aber kann ich Ihnen auch vertrauen?«
»Ja. Ja, natürlich können Sie mir vertrauen.«
»Sie haben mich schon zweimal angelogen«, entgegnete Charley.
»Was? Nein!«
Charley zog Jills Brief aus der Handtasche und begann laut vorzulesen. »› Die anderen Gefangenen haben sich alle als ziemlich nett erwiesen - die meisten Frauen sind wegen Drogensachen hier -, obwohl erst mal lange niemand mit mir geredet hat. Aber ich habe versucht, mich von meiner besten Seite zu zeigen, war immer freundlich und hilfsbereit, und irgendwann sind doch fast alle über ihren Schatten gesprungen. Eine Frau … hat mir sogar erklärt, sie findet, dass ich ein hübsches Lächeln habe. Ich glaube, dass sie vielleicht ein bisschen verknallt in mich ist. Es gibt immer noch einige Frauen … die nichts mit mir zu tun haben wollen, aber ich spüre, wie ihr Widerstand langsam bröckelt.‹ « Charley ließ den Brief auf den Tisch sinken. »Wollen Sie mir das erklären?«
Jill blickte verwirrt und hilfesuchend zu ihrem Anwalt.
»Ich habe Miss Webb erklärt, dass die Gefangenen im Todestrakt Einzelzellen haben und selten oder nie mit Mithäftlingen zusammenkommen«, sagte er.
»Ja, aber wir sind zu fünft, und unsere Zellen liegen nebeneinander«, sagte Jill rasch. »Wir reden ständig miteinander.«
»Ich wusste gar nicht, dass Frauen wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt werden. Nicht mal in Florida.« Charleys Stimme triefte vor Sarkasmus.
»Nein, natürlich nicht. Ich meinte die Frauen, die ich hier am Anfang
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