Die Katzen von Ulthar
entlang der grünen Küsten und entdeckten oftmals hübsche Fischerstädtchen, deren rote Dächer und Kaminkappen sich steil über alten, verträumten Kaianlagen und Stranden erhoben, auf denen Netze zum Trocknen auslagen. Doch am dritten Tag steuerten sie hart nach Süden, wo die See schwerer rollte, und schon bald sahen sie gar kein Land mehr. Am fünften Tag breitete sich Unruhe unter den Matrosen aus, doch der Kapitän entschuldigte ihre Furcht, indem er erklärte, das Schiff werde bald über den tangbewachsenen Mauern und zerbrochenen Säulen einer versunkenen Stadt, älter als jede Erinnerung, hinfahren, und bei klarem Wasser könne man an diesem Ort so viele schwebende Schatten ausmachen, daß schlichte Gemüter Anstoß daran nähmen. Er gestand überdies, daß in diesem Teil der See viele Schiffe verschollen wären; ganz in der Nähe der versunkenen Stadt seien sie noch angerufen worden, aber dann hätte man nie wieder etwas von ihnen gesehen.
In jener Nacht schien der Mond hell, und man konnte eine weite Strecke ins Wasser hinabschauen. Es kam so wenig Wind auf, daß das Schiff sich kaum bewegte und der Ozean ganz still lag. Carter beugte sich über die Reling und erblickte viele Faden tief den Dom des großen Tempels und davor eine von unnatürlichen Sphinxen gesäumte Allee, die auf einen ehemaligen öffentlichen Platz zuführte. Delphine spielten ausgelassen zwischen den Ruinen; hier und da tollten plumpe Tümmler, die manchmal an die Oberfläche schwammen und sich hoch aus dem Meer schnellten. Als das Schiff ein wenig weiterdriftete, stieg der Meeresboden in Hügeln an, und deutlich ließen sich die Linien alter, steiler Straßen und die niedergewaschenen Mauern von Myriaden kleiner Häuser erkennen.
Dann glitten die Vororte in den Blick und schließlich auf einem Berg ein großes, einsames Bauwerk von einfacherer Architektur und in wesentlich besser erhaltenem Zustand. Es war dunkel und flach und nahm die vier Seiten eines Quadrats ein, mit je einem Turm in den Ecken, einem Pflasterhof im Zentrum und kleinen, merkwürdig runden Fenstern. Möglicherweise bestand es aus Basalt, doch jetzt deckte es der Seetang fast völlig zu; und nach seinem einsamen und impressiven Standort auf jenem abgelegenen Hügel zu urteilen, 29
hätte es ein Tempel oder Kloster sein können. Ein Schwarm phosphoreszierender Fische im Innern verlieh den kleinen runden Fenstern den Anschein, erleuchtet zu sein, und Carter nahm den Seeleuten ihre Angst nicht weiter übel. Dann bemerkte er im wässerigen Mondlicht einen sonderbar hohen Monolithen in der Mitte des Zentralhofes und sah, daß irgend etwas daran festgebunden war. Und als er, nachdem er sich aus der Kajüte des Kapitäns ein Teleskop besorgt hatte, entdeckte, daß es sich bei dem angebundenen Ding um einen in die Seidenroben Oriabs gekleideten Seemann handelte, den augenlosen Kopf nach unten, war er froh, daß eine schwellende Brise das Schiff bald in gesündere Meeresbreiten vorantrieb.
Den nächsten Tag trafen sie ein Schiff unter violetten Segeln, das mit einer Ladung wunderlich gefärbter Lilienknollen nach Zar im Land der vergessenen Träume unterwegs war. Und am Abend des elften Tages kam die Insel Oriab mit dem in der Feme aufragenden, zerrissenen und schneegekrönten Ngranek in Sicht. Oriab ist eine sehr große Insel und ihr Hafen Bahama eine mächtige Stadt. Die Kais von Bahama sind aus Porphyr, und hinter ihnen erhebt sich in gewaltigen Steinterrassen die Stadt mit Stufenstraßen, die häufig von Gebäuden und den Brücken zwischen Gebäuden überwölbt werden. In einem Tunnel mit Granittoren fließt ein immenser Kanal unter der gesamten Stadt hindurch und mündet in den Binnensee Yath, an dessen entfernten Gestaden die ausgedehnten Lehmsteinruinen einer uranfänglichen Stadt liegen, deren Name vergessen ist. Als das Schiff am Abend in den Hafen lief, blinkten die Zwillingssignalfeuer Thonund Thai einen Willkommensgruß, und in der Million Fenster auf Bahamas Terrassen schienen milde Lampen auf, still und allmählich wie die Sterne am Dämmerlümmel, bis zuletzt der steile und ansteigende Seehafen als glitzerndes Sternbild zwischen den Himmelslichtem und den Spiegelungen eben dieser Lichter im stillen Hafenbecken hing.
Nach dem Anlegen lud der Kapitän Carter als Gast in sein eigenes kleines Haus an den Ufern des Yath−Sees, dort wo sich die Ausläufer der Stadt bis zu ihm hinunterziehen; und seine Frau und seine Diener tischten zum Entzücken des Reisenden
Weitere Kostenlose Bücher