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Die Katzen von Ulthar

Die Katzen von Ulthar

Titel: Die Katzen von Ulthar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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Chris gut genug, um solche Dinge von einem Carter zu erwarten. Randolph zeigte seinen Schlüssel nicht, sondern aß still das Abendbrot und protestierte erst, als er zu Bett gehen sollte. Manchmal träumte er besser im Wachen, und außerdem wollte er den Schlüssel benutzen.
    Am Morgen war Randolph zeitig auf den Beinen und würde sich in das höhergelegene Waldstück davongemacht haben, hätte ihn Onkel Chris nicht festgehalten und auf seinen Stuhl beim Frühstückstisch gedrückt. Sein Blick wanderte unstet durch den niedrigen Raum mit dem Flickenteppich, den offenen Balken und Eckpfeilern, und er lächelte nur, als die Zweige des Obstgartens an den Bleiglasscheiben des rückwärtigen Fensters kratzten. Die Bäume und die Hügel befanden sich in seiner Nähe und bildeten die Tore zu jenem zeitlosen Reich, das seine wahre Heimat war.
    Als er dann gehen durfte, fühlte er in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel; und als er sich vergewissert hatte, machte er sich aus dem Staub durch den Obstgarten zu der Anhöhe, wo der bewaldete Berg wieder höher anstieg als die baumlose Kuppe. Der Waldboden war moosig und geheimnisvoll, und große, flechtenüberwachsene Felsen erhoben sich hier und da undeutlich im schummerigen Licht, wie druidische Monolithen zwischen den geschwollenen und verrenkten Stämmen eines heiligen Haines. Einmal überquerte Randolph bei seinem Aufstieg einen rauschenden Bach, dessen Wasserfälle ein klein wenig abseits runische Beschwörungen für die lauernden Faune, Ägipane und Dryaden sangen.
    Dann kam er zu der seltsamen Höhle im Waldhang, der gefürchteten
    »Schlangengrube«, die die Bauern mieden und vor der Benijah nicht müde geworden war ihn zu warnen. Sie war tief; viel tiefer als irgend jemand außer Randy ahnte, denn der Junge hatte in der alleräußersten, schwarzen Ecke einen Spalt entdeckt, der in eine größere Grotte dahinter führte − ein unheimlicher Begräbnisplatz, dessen Granitwände die eigenartige Illusion vermittelten, künstlich geschaffen zu sein. Auch diesmal kroch er wie immer hinein, beleuchtete sich den Weg mit Streichhölzern, die er aus dem Streichholzständer im Wohnzimmer stibitzt hatte und zwängte sich mit einer ihm selbst kaum verständlichen Ungeduld durch die letzte Spalte. Er wußte nicht, warum er auf die gegenüberliegende Wand so zuversichtlich zuging, oder wieso er dabei instinktiv den großen Silberschlüssel hervorzog. Doch er schritt weiter, und als er in jener Nacht zum Haus zurücktanzte, da brachte er weder eine Entschuldigung für sein Zuspätkommen hervor, noch beachtete er den Tadel, den er erhielt, weil er das mittägliche Essenssignal völlig ignoriert hatte.
    Nun stimmen alle entfernten Verwandten von Randolph Carter darin überein, daß sich in seinem zehnten Lebensjahr irgend etwas zutrug, was seine Einbildungskraft steigerte. Sein Cousin, Ernest B. Aspinwall, Esq., aus Chicago ist ganze zehn Jahre älter als er, und erinnert sich deutlich, daß nach dem Herbst 1883 mit dem Jungen eine Veränderung vorging. Randolph hatte auf phantastische Szenerien geblickt, die sonst kaum jemand geschaut haben kann; 102
    und noch befremdlicher waren manche der Eigenschaften, die er in bezug auf sehr weltliche Dinge an den Tag legte. Kurz gesagt, er schien die unheimliche Gabe der Prophetie empfangen zu haben, und zeigte ungewöhnliche Reaktionen auf Ereignisse, die im Augenblick zwar belanglos schienen, im nachhinein aber seine eigenartigen Empfindungen rechtfertigten.
    Als in den folgenden Dekaden nach und nach neue Erfindungen, neue Geschehnisse und neue Namen im Buch der Geschichte auftauchten, entsannen sich die Leute hin und wieder verwundert daran, wie Carter vor Jahren eine beiläufige Bemerkung gemacht hatte, die in unverkennbarem Zusammenhang mit dem stand, was damals noch in ferner Zukunft lag. Er begriff diese Worte selber nicht und wußte ebenso wenig, warum gewisse Dinge gewisse Gefühle in ihm auslösten; er vermutete jedoch, daß irgendein vergessener Traum dafür verantwortlich sei. Bereits 1897 erbleichte er, wenn ein Reisender die französische Stadt Belloy−en−Santerre erwähnte, und seine Freunde erinnerten sich dessen, als er dort 1916, als Fremdenlegionär im Weltkrieg kämpfend, fast tödlich verwundet wurde. Carters Verwandte reden viel über diese Dinge, denn er ist kürzlich verschwunden. Sein kleiner, alter Diener Parks, der seine Grillen jahrelang geduldig ertragen hat, sah ihn zuletzt an dem Morgen, an dem er mit einem

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