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Die Katzen von Ulthar

Die Katzen von Ulthar

Titel: Die Katzen von Ulthar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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    breitkappige Stiefel hinterließen, als er ein kleiner Junge war. Das klang genauso verrückt wie jenes andere Gerücht − daß die Abdrücke der eigentümlich absatzlosen Stiefel des alten Benijah Corey den kleinen, kräftigen Spuren auf der Straße begegnet wären. Der alte Benijah hatte in Randolphs Kindheit bei Carters als Dienstbote im Lohn gestanden; aber er war vor dreißig Jahren gestorben.
    Es müssen diese Gerüchte gewesen sein, die − zusammen mit Carters eigener, Parks und anderen gegenüber geäußerter Behauptung, jener Silberschlüssel mit den merkwürdigen Arabesken würde ihm helfen, die Tore zu seiner verlorenen Kindheit zu öffnen − eine Anzahl von Gelehrten der Mystik zu der Erklärung veranlaßten, der Vermißte hätte in Wahrheit den Weg der Zeit rückwärts beschritten, und sei durch fünfundvierzig Jahre zu jenem anderen Oktobertag des Jahres 1883 zurückgekehrt, den er als kleiner Junge in der Schlangengrube verbracht hatte. Als er die Höhle in besagter Nacht verließ, hätte er, so meinten sie, irgendwie die ganze Reise ins Jahr 1928 und wieder zurück gemacht; denn hatte er seither nicht Kenntnis von Dingen besessen, die später geschahen? Und doch hatte er nie über Ereignisse gesprochen, die nach 1928 lagen.
    Ein Gelehrter − ein ältlicher Exzentriker aus Providence, Rhode Island, der sich einer langen und eingehenden Korrespondenz mit Carter erfreut hatte − hegte eine noch elaboriertere Theorie, und glaubte, daß Carter nicht nur in seine Jugend zurückgekehrt war, sondern überdies noch die Freiheit gewonnen hatte, nach Belieben durch die prismatischen Ansichten seiner Jugendträume zu streifen. Nach einer sonderbaren Vision veröffentlichte dieser Mann eine Geschichte über Carters Verschwinden, in der er andeutete, daß der Vermißte jetzt als König auf dem Opalthron von Ilek−Vad regiere, jener fabulösen Stadt der Türmchen, oben auf den hohlen Glasklippen, die das Dämmermeer überschauen, worin die bärtigen und flossenbewehrten Gnorri ihre einzigartigen Labyrinthe anlegen.
    Es war dieser alte Mann, Ward Phillips, der sich am lautstarksten der Aufteilung von Carters Besitz unter dessen Erben − alles entfernte Cousins −
    widersetzte, mit der Begründung, daß er in einer anderen Zeitdimension noch immer lebe und sehr wohl eines Tages zurückkehren könne. Gegen ihn standen die juristischen Fähigkeiten von Emest B. Aspinwall aus Chicago, einem der Cousins; er war zehn Jahre älter als Carter, aber bei Schlachten im Gerichtssaal hitzig wie ein Jugendlicher. Vier Jahre hatte der Streit getobt, doch nun war der Zeitpunkt der Aufteilung gekommen, und dieses weite, sonderbare Zimmer in New Orleans sollte der Schauplatz der Vereinbarungen sein.
    Es war das Haus von Carters literarischem sowie finanziellem Testamentsvollstrecker − des ausgezeichneten kreolischen Gelehrten der Mysterien und östlichen Altertümer, Etienne−Laurent de Marigny. Carter hatte de Marigny im Krieg kennengelernt, als sie beide in der französischen Fremdenlegion dienten, und sich wegen ihrer ähnlichen Interessen und Ansichten gleich von Anfang an zu ihm hingezogen gefühlt. Als der gelehrte junge Kreole den gedankenvollen Bostoner Träumer während eines memorablen gemeinsamen Urlaubs nach Bayonne im Süden Frankreichs gerührt, und ihm gewisse, schreckliche Geheimnisse in den nächtlichen und unvordenklichen Krypten, die sich unter dieser äonenalten Stadt verbergen, 106
    gewiesen hatte, war ihre Freundschaft auf immer besiegelt. Carters letzter Wille hatte de Marigny zum Testamentsvollstrecker bestimmt, und jetzt präsidierte jener besessene Gelehrte widerwillig über die Aufteilung des Besitzes. Es war eine traurige Arbeit für ihn, denn er glaubte ebensowenig wie der alte Rhode Islander daran, daß Carter nicht mehr lebte. Doch was wogen schon die Träume von Mystikern gegen die herbe Weisheit der Welt?
    Um den Tisch in jenem sonderbaren Raum im alten French Quarter saßen die Männer, die ihre Teilnahme an dem Verfahren beanspruchten. Die üblichen gerichtlichen Ankündigungen der Zusammenkunft hatten überall dort in den Zeitungen gestanden, wo man annahm, daß Erben von Carter wohnten; trotzdem saßen jetzt nur vier Personen hier und lauschten dem Ticken der sargförmigen Standuhr, die keine irdische Zeit schlug, und dem Sprudeln der Innenhoffontäne hinter halbzugezogenen, fächerförmigen Fenstern. Mit den fortschreitenden Stunden, verschwanden die Gesichter der Vier halb in

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