Die Kaufmannstochter von Lübeck
Norden und brachte viel Regen und ziemlich heftigen Wind. Immer wieder hörte man, dass in der Stadt Hausdächer teilweise abgedeckt worden waren.
Jeremias führte Magnus Bredels geradewegs in das Schreibzimmer, in dem Johanna gearbeitet hatte. Sie legte die Feder zur Seite und klappte das Buch, in das sie gerade die letzten Zahlen eingetragen hatte, zu. Johanna unterdrückte ein Gähnen und erhob sich von ihrem Platz.
»Ich weiß, dass es spät ist«, begann Magnus Bredels, der ihrem gleichermaßen prüfenden wie verwunderten Blick zunächst auswich und nicht so recht zu wissen schien, wie er sein Anliegen am besten vortragen konnte.
Dann muss es wohl etwas Unangenehmes sein , erkannte Johanna sofort.
»Ich habe gehört, dass Ihr zum Ältermann der Schonenfahrer gewählt worden seid und damit die Nachfolge meines Vaters in diesem Amt antreten werdet.«
»Ja, das trifft zu«, nickte Magnus. »Einen Vertreter des Hauses von Dören hat man dabei allerdings leider vermisst.«
»Ich bin über die Zusammenkunft der Bruderschaft nicht unterrichtet worden«, erwiderte Johanna und versuchte, ihrem Tonfall jeden Anflug von Gekränktheit zu nehmen. Rein formal gesehen war alles rechtens, denn einzig und allein Moritz von Dören war Mitglied dieser ehrwürdigen Kaufmannsbruderschaft gewesen. Und die Umstände waren wohl im Moment nicht so, dass Johanna oder irgendein anderer Vertreter des Hauses Entgegenkommen erwarten konnte. Das musste Johanna akzeptieren, auch wenn es ihr schwerfiel – vor allem angesichts der unbestrittenen Verdienste, die sich ihr Vater nicht nur um die Stadt Lübeck, sondern auch um die Schonenfahrer-Bruderschaft erworben hatte. Aber es war eben wie so oft: Die Verdienste der Vergangenheit zählten nichts. Und viele, die sich zuvor mit der Freundschaft des Hauses von Dören gebrüstet hatten, wollten daran inzwischen nur noch ungern erinnert werden. Vielleicht änderte sich das wieder, wenn erst die schrecklichen Anschuldigungen des Herward von Ranneberg ausgeräumt waren. Aber was das betraf, hatte Johanna kein gutes Gefühl.
»Werte Johanna, Ihr wisst, dass Euer Vater und ich in vielen Dingen verschiedener Meinung waren und ich zu seinen Lebzeiten mehrfach versucht habe, ihn als Ältermann unserer Bruderschaft abzulösen.«
»Ich will gerne zugeben, dass er Euch mehr als einmal verflucht hat, Magnus. Aber ich hoffe, dass Ihr ihm das im Angesicht des Grabes verzeihen werdet.«
Magnus machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe mich ebenso oft über Moritz aufgeregt. Und ich denke nicht daran, mich dafür zu entschuldigen, denn soweit ich mich erinnere, war ich immer im Recht.«
»Wie schön, wenn man dies mit so großer Gewissheit von sich zu sagen vermag.«
»Ich bin nicht der alten Geschichten wegen hier – sondern der Zukunft wegen. Ich muss Euch warnen, Johanna! Es braut sich da etwas zusammen. Ein Sturm, den niemand aufhalten kann – auch nicht der Bürgermeister, der ja immer ein Freund Eurer Familie war!«
»Wenn Ihr diese Anschuldigungen meint …«
»Es geht nicht um die Wahrheit, Johanna. Es geht darum, dass man versuchen wird, den Bürgermeister zu stürzen. Und dagegen hätte ich nichts einzuwenden!«
»Dass Ihr den Plänen von Brun Warendorp ablehnend gegenübersteht, ist wohlbekannt.«
»Trotzdem finde ich es nicht richtig, was dieser Herward von Ranneberg und die Männer, die mit ihm unter einer Decke stecken, da für ein Spiel treiben!«
»Er versucht, seine eigenen Interessen zu wahren, und vielleicht hat man ihm auf dänischer Seite etwas versprochen.«
»Ganz sicher sogar! Aber mir geht es um Euch! Man wird Euch und das Haus von Dören in diesem Streit opfern.«
»Aber der Bürgermeister …«
»Der Bürgermeister wird es zulassen, weil er sonst Gefahr läuft, selbst in den Strudel hineingerissen zu werden. Also werde ich Euch jetzt einen guten Rat geben. Einen Rat, wie man ihn nur den Feinden zu geben pflegt, vor denen man Respekt hat – und vor Eurem Vater hatte ich trotz allem, was uns trennte, Respekt: Verschwindet, so schnell Ihr könnt, aus Lübeck. Nehmt mit, was Ihr an Gold und Silber mitnehmen könnt, und bleibt eine Weile an einem anderen Ort, bis sich die Wogen hier geglättet haben.«
»Aber …«
»Ich darf Euch nichts Näheres sagen. Aber glaubt mir eins. Manchmal kann man besser seinen ehemaligen Feinden als seinen falschen Freunden trauen!«
Johanna schluckte. Sie war sich zunächst nicht ganz schlüssig darüber, was sie von dieser
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