Die Kaufmannstochter von Lübeck
wir nicht vorbereitet sein und die uns schwer treffen können.«
»Ich muss sagen, ich bewundere Euren Mut, Johanna«, erklärte Jorgen. »Ich habe ja auch Ohren, und wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was allein heute so alles geredet wurde, dann braut sich da ein Sturm zusammen.«
»Ein Sturm, den wir gemeinsam überstehen werden, wenn wir zusammenhalten«, mischte sich Grete nun ein.
Nachdem Jorgen Ullrych gegangen war, um sich den dringendsten Geschäften zu widmen, wandte sich Grete an ihre Schwester. »Wir haben jetzt nur noch uns beide, Johanna.«
»Ja, das ist mir sehr wohl bewusst.« Ein mattes, abgekämpftes Lächeln spielte kurz um Johannas Lippen. »Genauso, wie es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, dass ausgerechnet ich, deren Ziel es doch war, eine arme Nonne zu werden, jetzt alles tue, um den Reichtum unseres Vaters zusammenzuhalten!«
»Unser Vater wüsste das sehr zu schätzen«, sagte Grete. »Ich verstehe leider nichts vom Geschäft, sonst könnte ich dir mehr von deiner Last abnehmen.«
»Danke«, murmelte Johanna.
»Ich glaube, dass unser Vater, wenn er dir jetzt zusehen könnte, sehr stolz auf dich wäre.« Grete unterdrückte die Tränen, die ihr gerade wieder in die Augen treten wollten. »Und wenn doch alle Stricke reißen und alles den Bach hinunterzugehen droht, dann kann ich immer noch Auke den Jüngeren heiraten, auch wenn es unserem Vater sicher nicht gefallen würde, wenn Auke seine schäbigen Wesenszüge an die Enkel vererbt.«
»So weit werden wir es nicht kommen lassen«, versprach Johanna. »Ganz bestimmt nicht.« Sie sagte diese Worte im Tonfall eines Schwurs und musste daran denken, dass sie erst vor kurzem einen Schwur gebrochen hatte.
N eunundzwanzigstes K apitel
Bei Nacht und Nebel
Als Moritz von Dören zu Grabe getragen wurde, folgte kaum jemand dem Sarg. Sosehr man ihn, den großen und erfolgreichen Lübecker Kaufmann, auch in den vergangenen Jahren mit Ehrungen überhäuft hatte – jetzt hatte kaum jemand den Mut, ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Pater Marcus Josephus, der Kaplan von St. Johannis, hatte erst von Johanna dazu überredet werden müssen, die Zeremonie durchzuführen. Der Trauergottesdienst fand auch nicht in St. Johannis statt, sondern in einer kleinen Kapelle.
Immerhin war die Grabstätte des einstigen Ratsherrn so repräsentativ, wie es seinem Leben und seinem Stand entsprach.
Grete schluchzte vor sich hin und wurde von Jorgen Ullrych gestützt. Johanna versuchte die Fassung zu bewahren, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde.
Zu den wenigen, die den Patrizier auf seinem letzten Weg begleiteten, gehörten neben einigen Bediensteten und Angestellten des Hauses von Dören auch der eine oder andere Kapitän, der für Moritz gefahren war. Kilian Roth zum Beispiel, dessen wettergegerbtem Gesicht die Erschütterung über den plötzlichen Tod Moritz von Dörens überdeutlich anzusehen war.
Und auch der Laufbursche Hintz war dabei. Er hielt sich etwas abseits, so als würde er nicht wirklich zu der kleinen Trauergemeinde dazugehören.
In der nächsten Woche tagte der Rat hinter verschlossenen Türen. Man beschäftigte sich offenbar ausführlich mit der Frage, ob man Johanna von Dören oder gar ihrem toten Vater einen Verstoß gegen das in Lübeck geltende Recht vorwerfen könnte. Niemand legte Wert darauf, Johanna zu befragen.
Anscheinend ging der Rat auseinander, ohne dass man sich in dieser Frage einigen konnte. Magnus Bredels vom Unterwerder kam ein paar Tage später zum Haus von Dören. Es war schon spät, als er an der Tür klopfte. Er war in einen Umhang mit Kapuze gehüllt, sodass man ihn kaum erkennen konnte. Aber gerade das schien auch durchaus die Absicht zu sein.
Johanna hatte noch bis spätabends über den Büchern des Handelshauses gesessen. Als sie Magnus Bredels jetzt empfing, war sie völlig übermüdet. Sie hatte manche Nacht durchgearbeitet, um alles zu schaffen. Aber das empfand sie nicht als ganz so schlimm. Im Gegenteil: Es lenkte sie ab und sorgte dafür, dass sie nicht unentwegt über das Verhängnis nachdenken musste, das so unvermittelt über ihre Familie gekommen war. Und auch nicht darüber, wie Gott all diese Ungerechtigkeit zulassen konnte, oder ob die Ursache dafür vielleicht doch bei ihr selbst lag und sie sich die Gnade des Herrn, die ihr früher so gewiss war, durch ihre eigene Schuld verscherzt hatte.
Magnus Bredels schlug die Kapuze zurück. Es herrschte ein nasskaltes Wetter. Der Wind blies aus dem
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