Die Kaufmannstochter von Lübeck
verdient«, sagte Johanna schließlich. »Geh in den Stall und sattel die besten Pferde. Möglichst so, dass es kein Aufsehen gibt. Wir sollten mit dem Aufbruch noch warten. Und außerdem muss ich noch mit meiner Schwester sprechen.«
»Und mit Jeremias. Oder wollt Ihr ihn hier zurücklassen? Ihm könnt Ihr trauen.«
»Dann werde ich mich mal auf deine Menschenkenntnis verlassen, Hintz«, gab Johanna zur Antwort.
Grete musste Johanna nicht lange von der Notwendigkeit überzeugen, in dieser Nacht noch die Stadt zu verlassen.
»Endlich bist du zur Vernunft gekommen«, meinte sie. »Ich brauche nicht lange, um die wichtigsten Dinge zusammenzupacken. Ehrlich gesagt habe ich damit längst angefangen, denn ich dachte mir, dass es irgendwann nötig sein würde, sehr schnell die Stadt zu verlassen.«
»Dann können wir nur hoffen, dass Wolfgang Prebendonk sich daran erinnert, was er unserem Vater verdankt.«
»Das wird er.«
»So?«
»Er hat ein gutes Herz.«
»Das hast du früher nicht bemerkt.«
»Doch«, widersprach Grete. »Aber vielleicht habe ich nicht gewusst, wie wichtig das sein kann.«
D reißigstes K apitel
Ein Dach über dem Kopf
Es war lange nach Mitternacht, als sie schließlich aufbrachen. Sie hatten nur das Nötigste mitgenommen und natürlich alles Geld und Gold, das sie zu Hause aufbewahrt hatten. Jeremias führte ein zusätzliches Packpferd am Zügel. Hintz war an der Spitze der kleinen Gruppe, dann folgten Grete und Johanna und schließlich Jeremias. Ihr erstes Ziel war die Unterkunft von Busso, die sich in der Nähe des Mühlentors befand, des südlichen Stadttors. Er wohnte mit seiner Familie in einem winzigen Haus. Nachdem Johanna an seiner Tür geklopft hatte, war Busso schnell auf den Beinen und öffnete ihr. Er trug sogar noch seinen Harnisch und die Livree der Stadt. Offenbar hatte er bis vor kurzem noch Wachdienst getan. Busso unterdrückte ein Gähnen. »Was führt Euch zu mir, Johanna von Dören?«, fragte er.
»Wir müssen heute Nacht noch das Tor passieren«, sagte sie. Sie gab ihm ein paar Münzen. »Ich denke, das wird reichen.«
»Das denke ich nicht«, widersprach Busso. »Es hat sich herumgesprochen, wie sehr Ihr in Ungnade gefallen seid, und ich werde das Schweigen und die Mithilfe von ein paar weiteren Männern erkaufen müssen, um Euch helfen zu können.«
So gab ihm Johanna noch mehr Gold- und Silberstücke aus dem Beutel, den sie am Gürtel trug.
Busso zählte nach und hielt einige der Münzen ins fahle Mondlicht, das auf Lübeck herabschien und das Dach des benachbarten Doms in einem geisterhaften Licht erscheinen ließ. »Gut«, sagte er schließlich. »Wartet hier so lange, bis die Domuhr das nächste Mal schlägt. Dann könnt Ihr unbehelligt durch das Tor reiten. Ihr solltet Euch in Eure Mäntel hüllen – das gilt auch für Eure Begleiter. Es braucht sich niemand daran zu erinnern, wer in der Nacht noch in aller Eile die Stadt verlassen wollte.«
»Ich werde tun, was Ihr sagt«, versprach Johanna.
»Ich nehme an, wir werden uns so bald nicht wiedersehen.«
»Das weiß nur Gott, Busso. Falls man Euch beauftragen sollte, uns zu folgen, oder Ihr irgendeinen Einfluss darauf haben solltet …«
»Naheliegend wäre es, Euch im Norden zu suchen. In der holsteinischen Ödnis …«, meinte Busso.
Ganz so, wie man es von einer Verräterin erwarten würde, die auf Waldemars Seite steht, dachte Johanna.
»Gut«, sagte sie. »Sucht uns in der holsteinischen Ödnis.«
»Es ist schwer, dort jemanden zu finden – in diesem unwirtlichen, öden Land, in dem nicht umsonst niemand wohnt.«
»Dann wird es Euch ja wohl auch niemand übelnehmen, falls Ihr unverrichteter Dinge zurückkehren solltet!«
»So wird es sein.«
Kurz nachdem die Domuhr geschlagen hatte, ritten sie durch das hochgezogene Fallgatter des Mühlentors über die Brücke, über die man das von Wasser umgebene Lübeck verlassen konnte. Mitten auf der Brücke blickte Johanna kurz zurück. Der Dom ragte hinter dem Mühlentor wie ein riesenhafter, dunkler Schatten in den klaren Nachthimmel. Ein Schatten, der die Sterne verdeckte. S ei nicht wie Lots Frau, die zur Salzsäule erstarrte, als sie auf Sodom zurücksah, ging es Johanna durch den Kopf. Sieh nach vorn. Was auch immer da auf dich warten mag!
Sie ritten die ganze restliche Nacht durch – und so schnell, wie die Kraft der Pferde es zuließ. Gegen Morgen legten sie eine Rast an einem Wasserlauf ein. Johanna hatte sich doch immer wieder
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