Die Kaufmannstochter von Lübeck
umgedreht. Trotz der Übereinkunft mit Busso erwartete sie, dass man ihnen folgte. Schließlich konnte es ja auch sein, dass nicht Busso nach ihnen suchen sollte, sondern dass dies Herward von Ranneberg tat. Und der würde sicherlich nicht in der holsteinischen Ödnis nach ihnen Ausschau halten. Andererseits hat er auch keinen Anlass zu vermuten, dass wir auf dem Weg nach Stralsund sind, überlegte Johanna dann aber.
Grete beugte sich zum Bach hinunter, formte mit ihren Händen eine Schüssel und trank etwas.
Dann wandte sie sich an ihre Schwester. »Ich darf gar nicht daran denken, dass jetzt irgendwelche Schergen in das Haus eindringen, in dem wir aufgewachsen sind.«
»Dann denke nicht daran«, gab Johanna zurück.
»Ich kann nun mal nicht anders. Die ganze Zeit über, seitdem wir das Mühlentor hinter uns gelassen haben, hatte ich diese Bilder vor Augen.«
»Wir sollten froh über das sein, was wir noch haben, und nicht das beklagen, was wir verloren haben – ob nun für immer oder nur auf Zeit.«
Grete lächelte mild. »Jetzt versuchst du wohl, wieder zu der Heiligen zu werden, die du angeblich mal gewesen bist.«
Johanna hob die Augenbrauen. »Angeblich?«
»Nun, in Wahrheit steckt ja etwas ganz anderes in dir. Erst, als ich dich in Köln in der Begleitung von zwei Schweden sah, dachte ich … na, ist auch egal!«
»Was?«
»Und jetzt weiß ich inzwischen, was meine Schwester wirklich ist, die doch eine bettelarme Nonne werden wollte: eine Krämerseele, wie unser Vater es war! Jemand, der dem Teufel noch seinen eigenen Pferdefuß verkaufen und ihn glauben lassen würde, es sei ein wirklich gutes Geschäft, wie man es im Leben kein zweites Mal macht!«
»Du übertreibst!«
»Vielleicht ein bisschen. Aber wirklich nur ein bisschen. Mag sein, dass du die Pest überlebt hast und dass Gott es damals sehr gut mit dir meinte. Aber du solltest ihm auch dafür danken, dass man dich an der Klosterpforte abgewiesen hat.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Ich mir schon.«
»Wir sollten uns beeilen, wenn wir noch in absehbarer Zeit Stralsund erreichen wollen«, meinte Johanna. »Das Land, das wir zu durchqueren haben, ist ziemlich unwegsam.«
»Umso besser. Dann werden wir nicht so auffallen.«
»Aber mit einem bequemen Nachtlager werden wir so bald wohl auch nicht zu rechnen haben.«
Sie setzten den Weg fort, kamen durch Wälder und ritten an den Ufern von Seen entlang. Tagelang begegnete ihnen nicht ein einziger Mensch, und manchmal war Johanna sich auch nicht sicher, ob sie noch auf dem richtigen Weg waren. Aber der alte Jeremias glaubte zu wissen, wohin sie reiten müssten.
»Vor vielen Jahren – noch bevor Ihr geboren wurdet, bin ich schon einmal in Stralsund gewesen«, erzählte er. »Ich war damals noch sehr jung und hatte für Euren Großvater eine wichtige Botschaft an einen Händler in Stralsund zu überbringen.«
»Worum ging es da?«
»Um eine Verlobung. Euer Großvater wollte Euren Vater mit einer Stralsunder Kaufmannstochter verheiraten. Die Gelegenheit schien günstig zu sein, und es hätte sicherlich dem Geschäft gut gedient. Aber es gab damals wohl ein besseres Angebot, und so bin ich erfolglos zurückgekehrt. Ich weiß noch, dass ich lange darüber nachgedacht habe, wie ich die schlechte Nachricht am besten überbringen könnte.«
»Und? Was war das Ergebnis dieses Nachdenkens?«, fragte Johanna.
Jeremias lächelte in sich gekehrt. »Ich habe es einfach so gesagt, wie es eben war. Ohne um die Sache herumzureden. Und siehe da, auch wenn Euer Großvater gewiss sehr enttäuscht gewesen ist – Euer Vater war es keineswegs. Er hatte nämlich schon länger ein Auge auf Eure Mutter geworfen, die er wirklich mochte – und so blieb es ihm erspart, diese Stralsunderin zu nehmen. Ich habe diese Kaufmannstochter übrigens bei meinem Aufenthalt gesehen.«
»Und? Wie sah sie aus?«
»Eurem Vater ist einiges erspart geblieben, Johanna.«
»Weshalb?«
»Sie hatte ein zänkisches Wesen und außerdem eine Knollennase, aber angesichts ihres Reichtums fiel das wohl bei den möglichen Bewerbern nicht ganz so stark ins Gewicht.«
»Dann müssen wir ja froh sein, dass du damals keinen Erfolg hattest«, mischte sich nun Grete in das Gespräch ein und ließ ihr Pferd etwas schneller gehen, sodass es aufholte und sie neben Johanna und Jeremias ritt. »So haben wir zumindest keine Knollennase geerbt. Oder ein zänkisches Wesen …« Sie hörte zu sprechen auf und sah stirnrunzelnd zu
Weitere Kostenlose Bücher