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Die Kaufmannstochter von Lübeck

Die Kaufmannstochter von Lübeck

Titel: Die Kaufmannstochter von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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mit ungewissem Ausgang begibt.«
    Sie sahen sich an, und Johanna spürte wieder dieses drängende Verlangen, dem sie bereits im Dom so schamlos nachgegeben hatte. Sie hätte sich am liebsten sofort an ihn gedrängt, seine Nähe gespürt, den Schlag seines Herzens gefühlt und sich erneut einem Sturm purer Leidenschaft ergeben. Aber wozu führte das alles? Nur dazu, dass es ihr noch schwerer fallen würde, den Weg zu Ende zu gehen, den sie sich vorgenommen hatte. Es ist wie mit diesem verlockend süßen Marzipan, dachte sie. Mit jedem Bissen, den man davon kostet, wird das Verlangen nur größer, und es verwundert nicht, dass manch ein Vermögender bereit ist, jeden Preis dafür zu zahlen.
    Frederik nahm vorsichtig ihre Hand.
    »Kommt«, sagte er. »Ich kann Euch keine wohlausgestattete Stube bieten, wie Ihr sie vielleicht gewohnt seid.«
    »Das Zimmer, das ich mir zurzeit mit meiner Schwester teile, ist alles andere als wohlausgestattet«, entgegnete Johanna. »Und davon abgesehen …«
    »… solltet Ihr einfach Euren Sinnen und Eurem Herzen folgen. Denn beides hat Euch ebenfalls der Herr gegeben – nicht nur den Verstand, mit dem Ihr andauernd jede Regung in Euch in Zweifel zieht und dahinter einen Hang zur Sünde oder dergleichen vermutet.«
    »Ich weiß nicht, ob ich das tun sollte.«
    »Doch, das wisst Ihr, Johanna. Im Grunde Eures Herzens wisst Ihr das, und der Herr im Himmel, der alles sieht, weiß es auch und wird Euch nicht dafür verurteilen, dass Ihr nur das tut, was alle Menschen tun.«
    »Ich bin aber nicht wie alle Menschen .«
    »Seht Ihr: Genau das ist Euer Irrtum. Natürlich seid Ihr wie alle Menschen und folgt denselben Bedürfnissen, demselben Drängen, habt dieselben Ängste und dieselbe Sehnsucht nach Glück und Vollkommenheit. Aber das ist kein Grund, sich zu schämen.«
    »Ich schäme mich nicht.«
    »Wenn Gott es richtig gefunden hätte, Euch durch die Pest sterben zu lassen, dann hätte er es getan.«
    »Sein Wille geschehe …«
    »Da er es nicht tat und Euch überleben ließ, wird es einen Grund dafür gegeben haben. Aber wer sind wir – wer seid Ihr, Johanna? –, dass Ihr Euch anmaßt, diesen Grund erfahren zu wollen. All Eure Grübelei und auch die heiligen Texte werden Euch da keinen Ratschluss geben, denn die Wege des Herrn bleiben unergründlich.«
    »Ja, das mag wohl sein …«
    »Sosehr Ihr Euch auch um Erkenntnis bemüht: Bislang gibt es niemanden, keinen Menschen und nicht einmal den Papst in Rom, von dem ich wüsste, dass er diese absolute Erkenntnis für sich beanspruchen könnte. Und da wollt Ihr so vermessen sein und sie für Euch beanspruchen?«
    »Es ist alles so verwirrend. Ich möchte einfach nur tun, was richtig ist. Das ist alles.«
    Frederik hielt noch immer ihre Hand, und Johanna hatte bisher keinerlei Anstalten gemacht, sie ihm wieder zu entziehen. Dass sie auf einer öffentlichen Straße standen und sie jeder sehen konnte, der vorbeikam, schien ihr nicht wichtig zu sein.
    Frederik führte sie zu den Stallungen, in denen die schwedische Delegation untergekommen war. Knarrend öffnete er die Tür, die ins Innere führte. Die Wände waren aus Holz. Hier und da drang Licht durch Astlöcher. Die Schweden kampierten offenbar im Stroh, weshalb der Stallbesitzer einige zusätzliche Ballen herbeigebracht hatte.
    Ein Junge von ungefähr zwölf Jahren kam aus dem Bereich der Stallungen heraus, in dem die Pferde untergebracht waren.
    »Alle Tiere sind versorgt«, wandte er sich an Frederik, den er zu kennen schien. »Sie haben Wasser und Futter.«
    »Sehr gut, Kuntz«, sagte Frederik und gab dem Jungen ein paar Münzen. Der schaute ziemlich ungläubig drein.
    »Das ist mehr, als …«
    »Das ist nicht alles für dich.«
    »Nicht?«
    »Einer der Sattelriemen ist kurz davor zu reißen. Ich wette, du weißt, wo man Ersatz dafür besorgen kann.«
    »Ja, sicher, Herr.«
    »Den Rest kannst du behalten.«
    »Und Ihr meint, ich kann den Stall einfach allein lassen?«
    »Ich bin ja hier, Kuntz. Und ich nehme an, dass dein Herr erst zurückkehrt, wenn Mitternacht lange vorbei ist – vorausgesetzt, er kann dann noch allein nach Hause laufen!«
    Das schien Kuntz zu überzeugen. »Ich werde gleich loslaufen«, versprach er. Frederik sah ihm kurz nach, bis er den Stall verlassen hatte. Die Tür knarzte, die leichten, schnellen Schritte des Jungen waren noch kurz zu hören.
    Johanna schluckte, als Frederik sie nun ansah. Warum nicht? , dachte sie. Wie oft trifft man einen Menschen,

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