Die Kaufmannstochter von Lübeck
zu.
Johanna drehte sich kurz um und sagte dann: »Lasst uns etwas schneller gehen, damit wir nicht dauernd im Blickfeld dieses Zwergs sind. Der hat uns bereits so eigenartig angestarrt, als wir …« Sie schluckte nur und errötete leicht.
»Ich glaube kaum, dass er Euch da Eure Sünde im Gesicht ablesen konnte«, lächelte Frederik. »Oder hat dieser Zwerg auch noch seherische Fähigkeiten?«
»Er liest so viel aus den Dingen heraus, als hätte er diese Fähigkeit.«
Sie bogen in eine schmale Nebenstraße ein. Der Zwerg konnte sie jetzt nicht mehr sehen, worüber Johanna sehr erleichtert war. Und wieder bist du in Begleitung dieses Mannes auf Abwege geraten, dachte sie. Hier ging es jedenfalls nicht auf geradem Weg zu ihrer Herberge. Aber der Gedanke daran verflog sofort wieder. Sie genoss plötzlich die Gegenwart dieses Mannes, der ihr vom ersten Moment an, da sie sich begegnet waren, so überaus gut gefallen hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass jemand schon einmal einen vergleichbar starken Eindruck auf sie gemacht hatte. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es jetzt richtig war, mit ihm zu gehen – wo auch immer dieser Weg enden mochte.
»Erzählt mir von Euch«, verlangte sie. »Ich möchte alles über Euch erfahren. Ist es da, wo Ihr herkommt, wirklich so viel kälter? Und stimmt es, dass im Winter die Nächte und im Sommer die Tage nie aufhören?«
»Wenn man noch ein ganzes Stück weiter in den Norden reist, dann ist es so, wie Ihr es beschreibt, aber nicht in Blekinge und Schonen. Und auch nicht in den Provinzen, die daran angrenzen.«
»Hat die Pest in diesen Landen auch so furchtbar gewütet, wie sie es bei uns in Lübeck getan hat?«
»Diese Geißel hat ganze Landstriche entvölkert, und sie kehrte innerhalb weniger Jahre immer wieder zurück – wie ein Todesengel, der einfach nicht weichen wollte. Zeitweilig verwilderten die Schafe, weil niemand mehr da war, der sie gehütet hätte. Es gibt leere Landstriche, in denen niemand mehr wohnt und in denen man inzwischen Siedler aus Friesland und Holland anzusiedeln versucht. Eine Schwester und einen Bruder habe ich durch die Krankheit verloren, und ich danke dem Herrn, dass mich die Seuche nie befallen hat.«
»Glaubt Ihr, dass die Pestilenz ein Gericht Gottes über die Menschen ist?«
»Von diesen Dingen weiß ich nichts«, bekannte Frederik. »Da solltet Ihr besser einen Priester fragen, wenn Ihr dazu Näheres wissen wollt.«
»Diese Frage beschäftigt mich, seit ich selbst an dieser Krankheit litt und gegen alle Wahrscheinlichkeit davon genas. Und Ihr könnt mir glauben, ich habe jeden gefragt, von dem ich mir eine Antwort erwartet habe.«
»Und? Was für Antworten habt Ihr erhalten?«
»Nichts, was mir auch nur im Ansatz weitergeholfen hätte«, bekannte Johanna. »Die Priester scheinen mir so ratlos zu sein wie jeder andere, was das betrifft.«
»Ist das ein Grund dafür, dass Ihr so unbedingt Euer Leben in einem Kloster verbringen wollt?«, fragte Frederik.
»Wie meint Ihr das?«
»Vielleicht erwartet Ihr Antworten auf Eure Fragen durch das Studium der Schrift. Oder Ihr hofft, dass diese schreckliche Bedrohung, die Euer Leben beinahe ausgelöscht hatte, Euch hinter Klostermauern nicht noch einmal erreichen kann.«
»Nein, diese Hoffnung wäre trügerisch. Zu viele Mönche und Nonnen hat die Pest schon dahingerafft. Sie lagen mit den anderen auf den Leichenkarren, und es schien überhaupt keinen Unterschied gemacht zu haben, dass sie ein frommes Leben geführt hatten, während den anderen die Gebote des Herrn gleichgültig gewesen waren.«
D reizehntes K apitel
Eine Nacht im Stall
Am Ende der Gasse befand sich ein Mietstall. Das Wiehern eines Pferdes war zu hören, ein anderes schnaubte. Die Ställe waren während eines Hansetages ebenso überbelegt wie die Herbergen – und in vielen von ihnen waren nicht nur Pferde einquartiert.
»Darf ich Euch die Residenz des Gesandten von König Albrecht zeigen?«, lächelte Frederik und machte eine ausholende Bewegung. »Auch wenn im Augenblick von unserer Delegation nur die vierbeinigen Mitglieder zugegen sind, denn alle, die auf zwei Beinen zu stehen vermögen, haben sich vermutlich längst in eine der zahlreichen Schenken begeben, die in Köln die Gassen säumen.«
»Ich nehme an, dass man in Euren Landen weit laufen muss, um etwas Vergleichbares zu finden«, meinte Johanna.
»Ihr sagt es. Und da braut man sich sein Bier am besten selbst, ehe man sich auf eine Reise
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