Die Kaufmannstochter von Lübeck
deutete auf das Buch, das noch immer aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Martinus hatte noch nicht einmal versucht, es vor Emmerhart zu verbergen. »Meine Leidenschaften entspringen nur der Schwäche des Fleisches, und dafür kann man Vergebung erwarten. Eure Leidenschaften hingegen sind eher geistiger Natur und könnten von manchem Inquisitor schon als Ketzerei betrachtet werden.«
»Meint Ihr?«
»Wollen wir es wirklich darauf ankommen lassen? Wenn meine Leidenschaften bekannt werden, führt mich das nur in den Beichtstuhl eines Amtsbruders – Euch die obsessive Beschäftigung mit allen Abartigkeiten des Heidentums aber vielleicht auf den Scheiterhaufen.«
Martinus wurde nun sehr ernst. Der letzte Rest an weinseliger Freundlichkeit war aus ihm gewichen, und er wirkte wieder knochentrocken und streng.
»Ihr habt eine seltsame Art zu scherzen, Emmerhart.«
»Ich gebe zu, Ihr seid nicht der Erste, der sich darüber beklagt.«
»Ich werde mit dem Ehrlosen Georg reden. Aber Ihr werdet es auch tun müssen. Und ich denke, wir sollten Herward einweihen.«
»Auf gar keinen Fall!«, widersprach Emmerhart. »Jeder soll zumindest die Verwunderung in Herwards Gesicht sehen, wenn er erfährt, dass der nordländische Sündenbock geflohen ist und damit seine Schuld eingestanden hat!«
Raben krächzten über den nebelverhangenen Auen. Herward von Ranneberg ritt an der Spitze eines Trupps, der vorwiegend aus Angehörigen der kölnischen Stadtwache bestand. Aber auch Bürgermeister Mathias Overstolz war dabei. In der Zeit seiner Abwesenheit musste Heinrich von der Ehren, der zweite Bürgermeister, die Amtsgeschäfte allein führen. Angesichts der angespannten Lage auf dem Hansetag und der Komplikationen, die sich durch die Ermordung von Pieter van Brugsma samt Gefolge ergeben hatten, war das allerdings keine Aufgabe, um die er sich besonders gerissen hätte.
»Hier ist es gewesen«, erklärte Herward.
»Die Raben werden nicht viel übrig gelassen haben«, meinte einer der städtischen Söldner.
Mathias Overstolz war ganz blass geworden, als er die furchtbar zugerichteten Leichen im hohen Gras sah. Raben und andere Aasfresser hatten sie inzwischen weit mehr entstellt als die Schwerthiebe der Mörder. Kaum einer der Toten trug noch seine Waffen oder Stiefel. Was die Mörder nicht selbst fortgetragen hatten, mussten die Bauern der Umgebung an sich genommen haben. Auch Gürtel und einige Kleidungsstücke waren entfernt worden, soweit sie nicht durch Schwertstreiche vollkommen zerschnitten oder so blutdurchtränkt waren, dass man sie nicht mehr hätte verwenden können.
Ein Bild des Grauens bot sich den Reitern, und ein süßlich-fauliger Geruch hing schwer über dem Ort.
»Glaubt Ihr mir jetzt, was geschehen ist?«, fragte Herward von Ranneberg.
»Eure Schilderungen wurden nie in Zweifel gezogen«, stellte Mathias Overstolz klar.
»Hier! Seht nur, das muss der Leib von Pieter dem Jüngeren sein.« Herward deutete auf eine entstellte Leiche im Gras. »Die Stiefel hat man ihm ausgezogen, aber das blutbefleckte Wams ist ganz sicher seins.«
»Bei Gott«, flüsterte Mathias Overstolz erschüttert und vollkommen bleich.
»Fragt mich jetzt bitte nicht, welcher der Köpfe, die man hier findet, zu diesem Leib gehört hat«, fügte Herward noch hinzu, nachdem er aus dem Sattel gestiegen war und sich umsah.
»Jedenfalls werden wir dafür sorgen müssen, dass diese armen Seelen ein christliches Begräbnis bekommen«, erklärte Mathias Overstolz mit einer Stimme, die fest und entschlossen wirken sollte, aber eher schwach und bis ins Innerste erschüttert klang.
»Gut, dass wir einige zusätzliche Pferde mitgenommen haben«, mischte sich einer der Söldner ein. »Wir können zwei Leichen auf einen Pferderücken binden, aber wahrscheinlich bleiben trotzdem ein paar Leiber übrig, die wir hier bestatten müssen.«
Mathias Overstolz nickte. »Reite zum nächsten Ort und hol den Dorfpfaffen her.«
Das Gesicht des Söldners hellte sich daraufhin sichtbar auf – hatte er doch damit einen guten Grund, diesen furchtbaren Ort erst einmal verlassen zu können.
Z wanzigstes K apitel
Vom Kerker zum Totenacker
Drei Tage verbrachte Frederik von Blekinge nun inzwischen im Kerker. Es war kalt und stickig, die Luft war feucht. Frederik hatte das Gefühl, die Zeit würde stillstehen, und langsam fragte er sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, sich einfach der Gerichtsbarkeit zu stellen. Andererseits – was hätte er sonst tun
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