Die Kaufmannstochter von Lübeck
schwarzmagische Kräfte genutzt, um sich zu befreien.
Es war bereits alles für die Rückreise geplant, aber Moritz von Dören hatte inzwischen festgestellt, dass in seiner sehr gut gefüllten Reisekasse ein nicht unerheblicher Betrag fehlte. Es war keine Summe, die sie in Schwierigkeiten gebracht hätte – aber groß genug, dass ein Kaufmann wie Moritz unmöglich darüber hinwegsehen konnte.
»Ich habe dieses Silber genommen«, erklärte Johanna ihrem Vater schließlich, nachdem dieser hatte überprüfen wollen, ob er sich vielleicht bei den sorgfältig aufgelisteten Ausgaben für die Reisevorbereitung verrechnet hatte.
»Du?«, wunderte sich Moritz von Dören. »Wenn du dir irgendwelchen Tand gekauft hast oder dich neuerdings für Schmuck begeistern solltest, wie das andere Frauen auch tun …«
»Nein, das ist es nicht«, unterbrach ihn Johanna.
O Herr, verzeih mir, dass ich ihm nicht die Wahrheit sagen kann, obwohl ich das gerne würde . Aber an diese Möglichkeit war ernsthaft nicht zu denken. Schließlich war Moritz von Dören nach Frederiks Flucht ebenfalls davon überzeugt, dass der Mann aus Blekinge ein perfider Mörder war, der für die Rückgewinnung seiner angestammten Familienrechte buchstäblich über Leichen ging. Von der anfänglichen verhaltenen Freude darüber, dass Johanna offenbar zartes Interesse an einem Mann gezeigt hatte, der noch dazu als standesgemäß zu bezeichnen war, war nichts geblieben.
Irgendwann, so nahm Johanna sich vor, würde sie ihrem Vater die Wahrheit sagen. Die volle Wahrheit. Aber nicht jetzt und nicht hier in Köln.
»Ich habe das Geld genommen, um es für die Armen zu spenden«, sagte sie. »Ich habe ihre Not gesehen, wenn ich zum Dom ging, um dort zu beten, und ich fand, dass es unsere Christenpflicht ist, nicht alles von unserem Reichtum für uns zu behalten. Wir haben mehr als genug, und von den paar Münzen haben jetzt ein paar arme Seelen wenigstens einmal einen vollen Magen.«
Moritz von Dören seufzte schwer. »Wir sind kein mildtätiger Orden, sondern ein Handelshaus ehrbarer Kaufleute«, entgegnete er mit mahnendem Unterton.
»Auch du hast schon Almosen verteilt und in unserem Haus Speisungen für die Armen gegeben«, gab Johanna zu bedenken.
»Ja, das ist wahr«, nickte Moritz und seufzte erneut. »Jedenfalls bin ich froh, dass mein Verstand doch noch richtig funktioniert und ich mich nicht verrechnet habe!«
Z weiundzwanzigstes K apitel
Abschied aus Köln
Der Hansetag näherte sich seinem Ende, und die ersten Ratsgesandten verließen Köln bereits in Richtung ihrer jeweiligen Heimatstädte. Bevor sich die Gesandten aus Lübeck und ihre Begleiter auf den Weg zurück in den Norden machen konnten, stand für Moritz von Dören noch die Entscheidung an, ob man nun tatsächlich den Marzipanmacher, der sich Meister Andrea nannte, mit nach Lübeck nehmen sollte. Bruder Emmerhart trieb Moritz’ Wankelmütigkeit schier zur Verzweiflung, denn er hatte gedacht, dass die Entscheidung längst gefallen war und man sich mit Meister Andrea geeinigt hatte.
Als Johanna an einem der letzten Abende vor ihrem Aufbruch aus Köln noch einmal im Dom betete, traf sie dort auf Emmerhart. Dass dieses Treffen keineswegs zufällig war, lag auf der Hand. Vielmehr hatte der Mönch eine Gelegenheit gesucht, die junge Frau allein sprechen zu können. Dass Emmerhart jedoch nicht einmal das Taktgefühl besaß abzuwarten, bis Johanna ihre Gebete beendet hatte, ärgerte sie dann doch.
Sie erhob sich aus ihrer knienden Haltung und erwiderte den Blick des Mönchs so ruhig und gelassen, wie ihr dies irgend möglich war. »Ihr habt mich hier aufgesucht, weil Ihr den Gefallen einfordern wollt, den ich Euch schulde?«, vermutete sie.
In Bruder Emmerharts Gesicht zeigte sich das für ihn so charakteristische breite und ein wenig maskenhafte Lächeln, bei dem man nie sicher sein konnte, was es wirklich zu bedeuten hatte.
»Anscheinend seid Ihr nicht nur eine Heilige, die der Herr die Pest überleben ließ, sondern Ihr verfügt wohl auch über seherische Begabungen.«
»Glaubt Ihr?«
»Wie hättet Ihr sonst erraten können, was ich von Euch will?«
»So sagt schon, was Ihr auf dem Herzen habt und ich für Euch tun soll.«
»Ihr werdet bemerkt haben, dass Euer Vater plötzlich sehr viele Einwände gegen das Marzipan-Geschäft vorbringt, obwohl wir uns längst entschieden hatten. Zumindest glaubte ich das – und ehrlich gesagt war Meister Andrea ebenfalls in diesem
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