Die Keltennadel
erste Wort wissen Sie nicht zufällig?«, fragte der gut gelaunte Angestellte.
»Nein, es ist eine Farbe, glaub ich.«
»Blau?«
»Nein, nicht blau.«
»Sollen wir alle Regenbogenfarben durchgehen? Vielleicht hilft das Ihrem Gedächtnis nach.«
Ich bin wieder in Irland, dachte sie, und lächelte für sich.
»Nein, ich glaube, von denen ist es keine.«
»Wie ist es dann mit Früchten, Pastellfarben, Edelmetallen?« Er genoss das Geplänkel.
»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen – Silber! Das Silver Dolphin.«
Eine Stimme vom Band sagte die Nummer durch. Mary ging ans Telefon.
»Mary, hier ist Jane Wade. Wie geht es Liam?«
»Eigentlich ganz gut, wenn man bedenkt, was alles passiert ist. Was halten Sie von der ganzen Sache, Jane? Ist er ernsthaft in Schwierigkeiten?«
»Nicht mehr lange. Wir müssen nur noch die Polizei davon überzeugen, dass er unschuldig ist, und daran arbeite ich gerade. Dürfen Sie ihn jederzeit besuchen?«
»Mehr oder weniger. Allerdings wird alles durchsucht, was ich mitbringe.«
»Ich möchte, dass er sich etwas ansieht – ein Dokument. Es ist sehr wichtig, dass er es bald bekommt, und es müsste möglich sein, dass man es zu ihm schmuggelt, wenn Sie das Risiko nicht scheuen.«
»Ich gehe heute Abend noch zu ihm. Können Sie es mir bringen, oder soll ich es irgendwo abholen?«
»Das ist die Schwierigkeit. Ich muss es noch fertig stellen und ausdrucken. Könnten Sie bei mir zu Hause vorbeikommen? Das wäre fantastisch.« Jane war inzwischen nur noch zehn Minuten von Ryevale entfernt. »Sagen wir in einer Stunde? Ich wohne in Ryevale. Fahren Sie über die M 50.«
»Das kann ich machen.«
Jane erklärte ihr den Weg. »Sie werden sich beeilen müssen, wenn Sie vor Ende der Besuchszeit noch ins Krankenhaus wollen. Ich sehe zu, dass ich das Schriftstück fertig habe, wenn Sie kommen.«
Sie machte die Haustür hinter sich zu und überlegte, was sie ton musste. Die Übersetzung der Prophezeiung tippen, ausdrucken und zusammen mit dem Rest Mary geben. Dann noch einen Ausdruck machen und ein Faxgerät suchen, das man nicht zu ihr zurückverfolgen konnte. Das konnte eventuell bis morgen früh warten. Vielleicht Debbie heute Abend noch anrufen.
Sie ging in die Küche, schaltete den Kessel an und ermahnte sich, dass sie ihren Vorrat an Bohnenkaffee erneuern musste. Italien hatte ihren Geschmack für das Echte neu geweckt. Aber wahrscheinlich würde sie doch ihrer Gewohnheit treu bleiben und am Morgen Tee trinken. Dann sah sie sich plötzlich mit Liam in einem Straßencafé in Italien sitzen. Wenn das alles vorbei war, könnten sie ja… aber das war Träumerei.
Sie konnte noch einen Anruf erledigen. Aber erst musste sie die letzten Zeilen der Gedichte von Yeats noch einmal lesen, die auf der CD zitiert wurden. Sie kamen gegen Ende des Albums, als wieder die tiefen Stimmen der orthodoxen Mönche in die Musik gemischt waren. Jane ging nach oben in ihr Schlafzimmer und holte sich den Band mit den gesammelten Gedichten. Dann setzte sie sich auf den Bettrand und verglich die Verse. Sie hatte bereits herausgefunden, dass Auszüge aus zwei Gedichten zusammengewürfelt waren – »Blut und der Mond«:
Aufrecht in der Gruft stehen die Toten, Doch Winde vom Meer her aufbrausen: Sie schwanken, wenn die Winde sausen, Alte Knochen auf dem Berg, sie schwanken.
Und »Der schwarze Turm«:
Gesegnet diese Felsenmasse, Gesegneter noch dieses Turmes Wacht, Eine blutige, anmaßende Macht Stieg auf aus dieser Rasse, Gab Namen ihr und Herrschaft, Stieg auf wie diese Mauern aus diesen Sturmgepeitschten Hütten – Ein mächtiges Bildnis Dichtet’ ich zum Hohne Und sing es Reim um Reim, Zum Hohne einer Zeit, Halb tot auf der Mauerkrone.
Sie rief gleich vom Schlafzimmer aus an. Er war zu Hause.
»Hallo, Jeremy, hier ist Jane Wade. Deine Auskünfte über Yeats letzte Woche haben mir sehr geholfen. Aber ich hätte noch ein, zwei Fragen an dich, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Ach ja, unser W. B. Natürlich, Kind, frag nur.«
»Hat er je das byzantinische Kloster auf dem Berg Sinai besucht, das Katharinenkloster?«
»Das glaube ich nicht. Er dürfte Mosaiken und byzantinische Kunst in Ravenna gesehen haben. Und er wird natürlich darüber gelesen haben.«
»Er scheint häufig einen Turm als Symbol zu verwenden. Was bedeutet das?«
»Türme hatten alle möglichen Bedeutungen für ihn. Er hat eine Weile in einem normannischen Gebäude gewohnt – Thoor Ballylee. Erinnerst du dich an die Kreisel,
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