Die keltische Schwester
sechshundert Kilometer hinter mich zu bringen. Das Wetter war leider umgeschlagen, es hing eine graue Wolkendecke über dem Land. Außerdem endete die bislang hervorragende und wenig befahrende Autobahn, und ich musste hinter den Lastwagen über die Route Nationale herzockeln. Die Ortschaften waren meist klein und hatten ungewöhnliche Namen, oft mit einem ›Ple‹ und einem ›Plou‹, einem ›Tre‹ oder ›Ker‹ vorweg.
Spritzwasser nahm mir die Sicht, der Regen kam in heftigen Schauern nieder, und als ich endlich von ferne das Meer sah, war es grau und trug weiße Wellenkämme. Kühl war es auch geworden, und ich drehte die Lüftung ganz auf, um wieder warme Füße zu bekommen. Schon bedauerte ich, dass ich nichtmehr warme Sachen eingepackt hatte, irgendwie war bei mir der Eindruck hängengeblieben, dass die Bretagne ein ausgesprochen mildes Klima haben sollte.
Nach einigem Umherfahren und vielen Fragen hatte ich dann auch das Hotel »La Korrigane« gefunden. Es lag ein wenig außerhalb von Plouescat und war tatsächlich ein hübscher Bau. Der übliche graue Stein war fast zur Gänze überwachsen mit Efeu, der in der Nässe glänzte. Kletterrosen in weiß und rot rankten sich um die schwere hölzerne Eingangstür, weißer Kies bedeckte den Vorplatz.
Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, und so kam ich einigermaßen trocken ins Foyer.
»Lindis, schön, dass du da bist!«
Wulf hatte in einem der Sessel gesessen und Zeitung gelesen. Es berührte mich angenehm, dass er offensichtlich auf mich gewartet hatte.
»Puh, habt ihr hier ein Wetter!«
»Ja, wird Zeit, dass ein regendichtes Dach über dieses Land gezogen wird. Komm, wir erledigen die Formalitäten.«
Madame gab mir meinen Zimmerschlüssel, und Wulf half mir, meine Koffer die enge, quietschende Stiege hinaufzutragen.
»Das modernste aller Hotels ist es aber nicht gerade.«
»Nein, es hat den landestypischen Charme. Hier ist dein Zimmer.«
Der Raum war recht groß, ja. Aber ansonsten ließ sich nicht viel Positives dazu sagen. Ein breites französisches Bett mit einer bitterblauen Tagesdecke, gerüscht an den Rändern, nahm die Mitte des Zimmers ein. Als ich meine Tasche daraufstellte, sank es bedrohlich ein.
»Die Matratze scheint gut gefedert zu sein.«
»Ist doch vorteilhaft, man rollt immer in der Mitte zusammen.«
»Witzbold. Wo sind denn hier die Schränke?«
»Tapeziert. Hier steckt ein Schlüssel in der Wand.«
»Wie originell. Gibt es auch eine Tapetentür zum Badezimmer?«
»Nein, das findest du auf der Etage.«
»Das darf doch wohl nicht wahr sein! Sag mal, wer hat denn den Schuppen gebucht?«
»Mach doch nicht solche Wellen! Das ist nun mal auf dem Lande so. Und außerdem, wenn du sehr nett bist, darfst du bei mir im Zimmer duschen.«
»Ach, du hast ein Zimmer mit Bad? Nun, dann werden wir für mich auch so eins finden müssen.«
»Was bist du grantig! Ich lass dich lieber alleine. Ich dachte, du freust dich, dass wir hier etwas außerhalb wohnen können.«
Er ging zum Gang hinaus und öffnete die gegenüberliegende Tür. Ich hingegen lief zur Rezeption hinunter und versuchte mit meinem dürftigen Französisch Madame deutlich zu machen, dass ich ebenfalls ein Zimmer mit Bad haben wollte.
Ich bekam es, ein Stockwerk höher und am anderen Ende des Ganges. Es war nicht viel luxuriöser, aber weiter weg von Wulf.
8. Faden, 5. Knoten
Die Maus hatte ihr gemütliches Nest unter der dichten Hecke verlassen und schnupperte weit draußen auf der Wiese an einem Apfelgehäuse, das von einem der großen Lebewesen abgenagt und weggeworfen worden war. Die schwarze Nase bebte, die feinen Barthaare zitterten leicht bei dieser Prüfung. Mit ihren geschickten Vorderpfoten ergriff die Maus schließlich einen der Kerne und knabberte vorsichtig daran.
Hoch über dem Land zog die schwarze Krähe träge ihre Kreise im warmen Aufwind. Und doch war sie auf der Suche nach Nahrung, eine überfahrene Katze am Straßenrand, ein unvorsichtiges Hasenkind, die unbewachten Eier einer Möwe, vielleicht auch eine unachtsame Maus waren ihr Ziel.
Sie erspähte die Maus.
Natürlich sah sie auch den Menschen, der ganz in der Nähe auf der Steinbank vor dem Haus saß. Aber der würde nicht stören. Langsam schwebte die Krähe tiefer und tiefer, hatte nur Augen für das rotbraune Nagetier, das vergnügt bei seinem Apfel saß. Der schwarze Schatten ihrer ausgebreiteten Schwingen glitt über das Gras, der schwarze, scharfe Schnabel war bereit zuzustoßen.
Der
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