Die keltische Schwester
war angelegt worden, ein Teil des Geländes war eingezäunt worden und mit Verbotsschildern versehen. Die Wiesen und Felder waren jedoch noch unberührt. Ich parkteam Straßenrand und setzte meinen Weg zu Fuß auf einer holperigen Fahrspur fort. Es war noch immer kühl, aber zwischen den weißen Wolkenbergen leuchtete ein blauer Himmel. Der Wind war frisch und wirbelte in Böen den Staub auf. Schon hier hörte ich das Meer rauschen und roch den salzigen Atem der Flut. Der Menhir stand natürlich noch immer an seinem Platz, eigenartig vertraut, wie ich ihn in meinen Träumen so oft gesehen hatte. Unwillkürlich wanderte ich zu ihm hin.
Kühl fühlte sich der Stein an, graugrün schimmerten die Flechten auf seiner Wetterseite. Das Gras um ihn herum schien höher und grüner zu sein als auf dem Rest der Wiese. Kleine gelbe Blümchen wuchsen zu seinen Füßen, jemand hatte Rosenblätter um ihn gestreut.
»Na, Alter!«, grüßte ich ihn und legte meine Hand auf seine Flanke.
Es ließ ihn kalt.
Trotzdem hatte ich ein eigenartiges Gefühl, als ich so nahe bei ihm stand. Es war wieder einmal so, als ob ich ein klein wenig neben mir stände, als zöge etwas ein Stück von mir aus mir heraus. Wunderlich, aber nicht mehr so erschreckend wie früher, als das ebenfalls geschehen war. Ich riss mich von der Stelle los und ging weiter.
Ein paar Meter weiter stand Roberts Haus. Die dichte Hecke aus blühenden Hortensien davor nahm mir den direkten Blick, aber ganz offensichtlich war es bewohnt. Auf der Leine flatterten ein paar Kleidungsstücke, ein schmutziger Jeep parkte neben dem Schuppen, und auf seinem Dach kauerte der rote Kater. Als ich näher kam, fiel mir plötzlich der Name wieder ein. Dämon hatte er ihn genannt. Mit Recht, wie ich feststellen konnte. In seiner lauernden Haltung glich das Tier einem dämonischen Wasserspeier; den Hals lang vorgestreckt, konzentrierte er sich auf etwas, das am Boden vor ihm geschah. Aber als er meine Schritte hörte, verschwand der Dämon, und nurein rotgoldener Strich blieb als Erinnerung auf meiner Netzhaut zurück.
Mutig geworden klopfte ich an der Holztür. Es war zumindest ein Akt der Höflichkeit, Robert zu begrüßen, wenn ich schon hier in der Gegend war. Aber es öffnete niemand.
Ich klopfte noch einmal lauter.
Nichts.
Ich drückte auf die Türklinke. Es war nicht abgeschlossen, und als ich in den Wohnraum sah, konnte ich den schwachen Geruch eines erloschenen Holzfeuers wahrnehmen. Auf dem langen Tisch waren, wie schon bei meinem letzten Besuch, Papiere ausgebreitet, ein Laptop thronte arbeitsbereit dazwischen.
Weit konnte der Bewohner also nicht sein.
Ich schloss die Tür wieder hinter mir und stellte fest, dass die sonnige Hauswand, dort wo die Steinbank stand, angenehm warm war. Ich hatte Zeit. Warum nicht ein paar Minuten auf ihn warten?
Aber nach einer Viertelstunde, es war inzwischen beinahe halb sechs geworden, überlegte ich mir dann doch, dass ich vielleicht erst einmal zu Morwennas Haus gehen sollte. Ich stand auf und ging ein paar Meter in diese Richtung, als mich das laute »Krah krah krah« einer Krähe aufschreckte, die beinahe direkt neben mir niederstürzte. Fast hätten mich ihre schwarzen Federn gestreift, und eine plötzliche Gänsehaut zog sich über meine Arme. Grässliche Vögel, diese Krähen. Alptraumartige Erinnerungen an das öde Land stiegen in mir auf.
Doch dann lenkten mich näher kommende Schritte ab.
Robert kehrte zurück. Er war augenscheinlich schnell und weit gelaufen, sein Gesicht war nass von Schweiß. Er hatte kurze Hosen und ein ärmelloses Shirt an, um seiner Stirn wand sich ein ausgebleichtes Tuch. Die blaue Schlange ringelte sich unverändert um seinen Oberarm. Er sah unverschämt gut aus,drahtig, energiegeladen und durchtrainiert und damit völlig das Gegenteil von dem, was man von einem Professor der Geschichtswissenschaften erwarten sollte.
Er keuchte noch nicht einmal, dieser unmögliche Mensch!
»Hallo, Lindis. Ich hatte dich schon erwartet. Schön, dass du hier bist. Entschuldige, ich gebe dir jetzt kein Küsschen, Küsschen, wie das eigentlich üblich wäre.«
»Das beruhigt mich. Wie viel Kilometer?«
»Ach, bloß zwölf heute. Ich hatte zu viel zu tun. Aber es ist eine wundervolle Gegend zum Laufen. Hier vorne an der Küste führt der alte Zöllnerpfad entlang. Der ist schier endlos.«
»Zöllner?«
»Man hat zuzeiten gerne ein wenig geschmuggelt. England ist nicht fern.«
»Ach ja. Man vergisst das immer, wenn
Weitere Kostenlose Bücher