Die keltische Schwester
ich wieder Muster. Seiten um Seiten füllte ich, während ich über mich nachdachte.
Knoten 5., 9. und 12. Faden
»Kannst du morgen früh auf dem Markt einkaufen, während ich die Damen abhole?«
»Sicher. Ich hoffe nur, man wird mir nicht faule Tomaten andrehen, so beliebt, wie ich hier bin.«
»Es wird sich herumgesprochen haben, wo du stehst.«
»So schnell?«
»Das ist die hiesige Form des Internet. Zwischenmenschliche Kommunikation oder schlicht – Klatsch und Tratsch.«
Ich musste lachen, aber da war sicher etwas dran. Ich hatte nicht viel Gelegenheit gehabt, mit Robert zu sprechen, seit wir das Treffen mit Callot gehabt hatten. Er war viel unterwegs gewesen und hatte sich sehr zurückgezogen. Doch das war mir in meiner jetzigen Situation auch ganz recht, ich wollte erst noch mit mir selbst ins Reine kommen. Ich hatte das gute Gefühl, dass es mir in nicht allzu weit entfernter Zeit auch gelingen würde.
»Vergiss nicht, für Morwenna Kuchen mitzubringen!«
»Für alle, nicht nur für die alte Dame. Wie geht es ihr? Hat ihr der Pfarrer noch mal zugesetzt?«
Robert, der seine Papiere zusammenräumte, lachte plötzlich auf und kramte etwas hervor.
»Daniels entwickelt äußerst kreative Ansätze in der Sache. Hier, das hat gestern ein Vertreter des ›Maison de retraite‹ in Morlaix bei ihr hinterlassen.«
»Was ist ein ›Maison de retraite‹?«
»Ein Altersheim, in diesem Fall ein umgebautes Kloster, sehr teuer, sehr komfortabel, sehr modern ausgestattet.«
»Nein, das darf doch nicht wahr sein! Arme Mère Morwenna.«
»Sie fasst das als einen äußerst erheiternden Beitrag zu ihrer Belustigung auf.«
»Na, hoffentlich wird das nicht noch zu einer Belästigung. In ein Kloster, du liebe Zeit!«
Am nächsten Tag fuhr ich nach Plouescat und räumte den Markt leer. So kam es mir zumindest vor, als ich mit den beiden ersten Körben zum Auto wankte. Das war nur Obst und Gemüse, anschließend wollte ich das Angebot des Käsestandes und des Fischhändlers prüfen. Ich kannte ja meine Schwester, sie würde ausgehungert sein nach der Zugfahrt.
Die Patisserie war meine letzte Anlaufstelle, und ich schwelgte in Erdbeerkuchen, Tartes, Schokoladen-Madelaines, Croissants und anderen Köstlichkeiten.
Gleichzeitig mit den Besuchern traf ich dann am Haus ein.
»Ältere Schwester!«, jubelte Beni und umarmte mich herzlich. »Du siehst richtig menschlich aus. Und braun bist du geworden. Das ist ja so irre hier, die Felsen da, sieh mal, die sehen aus wie knackige Männermuskeln! Und es riecht nach Fisch! Gibt’s hier Muscheln? Und wo ist dein Menhir? Kann man dazum Meer runter? Ist das Roberts Katze? Hast du was zu Essen gekauft?«
Ich hielt ihr mit einer Hand den Mund zu.
»Mmmhmmmh! Mmm?«
»Liebe Beni, ich grüße dich. Die wichtigste Antwort zuerst: Ja, es gibt etwas zu Essen. Ich muss nur das Auto aufmachen. Hilf mir!«
Ekstatische Schreie folgten.
»Hallo, Lindis.« Küsschen, Küsschen von Teresa, die mit Genugtuung die Umgebung betrachtete. »Beni war bislang ganz zahm, aber jetzt scheint sie doch etwas aus dem Gleichgewicht zu sein. Beni, du hattest ein Riesenfrühstück im Zug.«
»Das ist Jahre her. Erdbeerkuchen!«
»Der ist für Mère Morwenna, Finger weg!«
»Oooch!«
»Herrschaften! Ist euch eigentlich schon mal aufgefallen, dass ihr einen Gastgeber habt, der Anspruch auf gesittetes Benehmen hat?«
»Hast du das, Robert?«
»Tu dir keinen Zwang an, ich liebe grässliche Gören.«
»Oh, Mann, du kennst Jessy nicht. Aber ich werde mich anstrengen, es ihr gleichzutun.«
»Beni will wieder zum Kind werden. Dabei hat sie letzthin ausdrücklich ihren Erwachsenenstatus angefordert.«
Das half ein bisschen. Beni trug folgsam Körbe und Taschen, dann ihre Koffer ins Haus, und der Ausbruch des Entzückens beim Anblick ihres Prinzessinnen-Zimmers hielt sich in erträglichen Grenzen.
»Entschuldigung, Lindis, aber es muss an der Luft liegen.«
»Schon gut, Süße!«
Als ich aus dem Tumult wieder auftauchte, waren Robert und Teresa dabei, vor dem Haus einen Gartentisch aufzustellen.
»Geh doch zu Morwenna hinüber und bitte sie, an unserem Essen teilzunehmen, Lindis.«
Helfen konnte ich sowieso nicht mehr, also ging ich zu dem kleinen Häuschen hinüber und bat Mère Morwenna, die ein paar Pflänzchen goss, zu uns zu kommen. Sie hörte meinem stockenden Französisch aufmerksam zu, deutete dann, dass sie sich die Erde von den Händen waschen wolle, und wanderte kurz darauf mit einer
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